Reine mère
Manele Labidi, Belgien, Frankreich, 2025o
Die in Paris lebende Tunesierin Amel hat grosse Träume für ihre Töchter. Mit ihrem Mann bildet sie ein explosives Duo. Als der Familie die Wohnung gekündigt wird und Tochter Mouna plötzlich einen imaginären Freund hat, muss Amel sich neu erfinden. Temperamentvolle Komödie über eine tunesische Familie, die ihren Platz in der französischen Gesellschaft behauptet.
Auch im Kino sollte man sich nie vom ersten Eindruck täuschen lassen. Das erste Adjektiv, das einem zu Reine mère einfällt, ist «charmant», doch es wird der subversiven Kraft des zweiten Spielfilms der französisch-tunesischen Regisseurin Manele Labidi (Un divan à Tunis) nicht gerecht. Die Gesellschaftskomödie spielt im Paris der 1980er Jahre. Die tunesischen Einwanderer Amel und Amor sind ein explosives Paar, das von einer Flut von Problemen überfordert ist: Sie müssen ihre Wohnung verlassen, haben finanzielle Engpässe und leiden unter alltäglichem Rassismus. Die beiden Erwachsenen sind völlig überrumpelt, als ihre älteste Tochter Mouna sich von Charles Martel verfolgt fühlt, über den sie im Geschichtsunterricht gelernt hat, dass er 732 die Araber bei Poitiers zurückschlug, und dann in einer unerklärlichen Kehrtwende den fränkischen Heerführer zu ihrem besten Freund erklärt. Dank ihm, der von einem lachenden und mürrischen Damien Bonnard verkörpert wird, überwindet Mouna die Schwierigkeiten ihres Alltags und behauptet sich gegenüber ihrer überkandidelten Mutter, die von der charismatischen Camélia Jordana verkörpert wird. Bei einem Schulausflug ins Museum bewundert das Mädchen ein Gemälde von 1837, das die Schlacht von Poitiers darstellt. An ihrer Seite weist ihr imaginärer Freund auf die Unwahrscheinlichkeiten und Anachronismen im Gemälde hin, das während der Eroberung Algeriens durch Frankreich entstanden ist, und dekonstruiert damit ganz beiläufig den Identitätsmythos, den die extreme französische Rechte um dieses historische Ereignis aufgebaut hat. Der Schlacht von Poitiers entspricht der Kampf, den Manele Labidi im Bereich der Fantasie führt, mit dem lobenswerten Ziel, die annektierte Figur von Karl Martell zurückzugewinnen. Trotz ihrer harmlosen Anmutung ist die Komödie eine unschlagbare Waffe.
Émilien Gür
