Von der Rolle
Verena Endtner, Schweiz, 2019o
Der Alltag und die Überlegungen dreier Familien mit flexibler Rollenverteilung: Was passiert, wenn der Vater mehr Arbeit für die Familie leistet als die Mutter? Was bedeutet das für das Selbstverständnis von Männern und Frauen? Geleitet von ihren persönlichen Erfahrungen als berufstätige Mutter, bietet die Filmemacherin einen Einblick in unkonventionelle Familienrealitäten.
Was Von der Rolle zeigt, ist nichts Weltbewegendes. Genau diese Alltäglichkeit ist aber das Spektakuläre: weil Fragen der Gleichberechtigung sehr konkret verhandelt werden. Wer mäht den Rasen? Wer kann sein Arbeitspensum leichter reduzieren? Wer erhält mehr Lob, wenn er mit dem Kind auf den Spielplatz geht? Endtner zeigt unaufgeregt, dass jedes der Modelle seine Tücken, aber auch seine Berechtigung hat.
Regula FuchsGalerieo
Ein neuer Film zeigt, wie Schweizer Paare zwischen Wäschekorb und Wickeltisch die traditionellen Rollenmodelle zu überwinden suchen.
Theo, Sandro und Martin sind keine Väter, die «ein wenig mithelfen» im Haushalt. Keine modernen Papa Molls, die es kaum schaffen, ihren Kindern zwei gleichfarbige Socken anzuziehen und ein Chaos veranstalten, wenn die Frau mal aus dem Haus ist. Die drei Männer sind das, was man heutzutage unter «engagierten Vätern» versteht: Sie stehen nachts auf, wenn das Kind weint, gehen mit ihm auf den Spielplatz und erledigen zuhause die Wäsche. Und sie sind nicht diejenigen, die das ganze Geld nach Hause bringen, ihre Partnerinnen tragen ebenso viel oder mehr zum Familieneinkommen bei. Das ist noch immer so aussergewöhnlich, dass es Stoff für einen ganzen Dokumentarfilm hergibt. Theo, Sandro und Martin sind die Protagonisten im Film «Von der Rolle». Darin begleitet die Berner Regisseurin Verena Endtner drei junge Familien und bringt uns Familienkonstellationen näher, die in unserer Gesellschaft selten sind.
Theo und Maja sind ein Künstlerpaar, er Musiker, sie Tänzerin, beide teilen sich Haushalt und Lohnarbeit zu gleichen Teilen; Maja hätte zwar gerne, dass Theo sich öfter um die Schmutzwäsche kümmert, aber weil sie nicht mag, wie er die Kleider aufhängt, macht sies dann doch selber. Bei Sandro und Olivia bringt nur ein Elternteil Geld nach Hause: sie. Sandro ist Hausmann und Vollzeitvater und bäckt seinen Söhnen Geburtstagstorten, während seine Frau trotz Kaderjob von Bekannten manchmal gefragt wird, warum sie denn nicht mehr im Haushalt tue. Und da sind Kathrin und Martin; sie arbeitet vier Tage die Woche auswärts und fragt sich, ob es besser wäre, wenn sie mehr zuhause wäre, weil sie ihren Erziehungsstil insgeheim geeigneter findet als den ihres Mannes, der das Kind mehr betreut als sie. Als sie nach dem zweiten Kind den Wunsch verspürt, ihr Pensum zu reduzieren, empfindet sie das als persönliche «Schlappe» für sich als emanzipierte Frau.
Über moderne Rollen reden – und traditionelle Rollen leben
Die drei Paare haben sich offensichtlich einige Gedanken gemacht, als sie vom Liebespaar zu Eltern wurden, und sie sind überzeugt, dass die klassische Rollenverteilung nicht ihr Ding ist. Und doch ist der Alltag mit Kindern, diesen Eindruck gewinnt man im Film, offenbar ein ständiger Kampf gegen die Traditionalismusfalle. Passen die jungen Eltern einen Moment nicht auf, so scheint es, überrollen althergebrachte Rollenmuster wie eine Walze all die schönen Überzeugungen vom modernen Familienideal.
Tatsächlich ist es statistisch erwiesen, dass die meisten Paare in traditionelle Rollenmuster zurückfallen, sobald Kinder da sind. Heisst: Er bringt das Geld nach Hause, sie kümmert sich um Kind, Haushalt, Teilzeitjob. Interessanterweise passiert das auch jenen, die sich für progressiv halten und egalitäre Geschlechterrollen befürworten. Die Soziologie kennt für solche Paare den Begriff «Gender Legacy Couples»: In Befragungen geben sie an, dass sie die Arbeitsteilung gleichberechtigt und gemeinsam vornehmen, doch bei genauem Hinschauen stellt sich heraus, dass diese Entscheidungen den Bedürfnissen der Männer stärker entgegenkommen. Und so finden sich diese Paare dann in konventionellen Konstellationen wieder, mit der Mutter als multitaskender und allumsorgender Part.
Interessant in diesem Zusammenhang ist eine deutsche Studie, die das Magazin «Gehirn & Geist» kürzlich zitierte: Forscherinnen haben in Befragungen mit Eltern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz herausgefunden, dass das Rollenverständnis des Mannes mitbestimmt, wie lange Frauen nach der Geburt des Kindes zuhause bleiben und ob sie danach ihr Pensum reduzieren. Je traditioneller der Mann, umso später und mit weniger Wochenstunden kehrt die Partnerin an den Arbeitsplatz zurück. Umgekehrt aber lassen sich Männer von einer progressiven Partnerin viel weniger beeinflussen, sie entscheiden unabhängig, ob und wie oft sie das Kind nach der Geburt betreuen.
Wenn der Mann nicht wolle, könne die Frau wenig ausrichten mit ihrem Wunsch nach einem emanzipierten Leben, sagt im Film sinngemäss eine der Protagonistinnen. Vielleicht ist dies die Erkenntnis. Vielleicht aber muss man es auch anders deuten: Wünschenswert wären nicht nur Männer, die mehr als «mithelfen» im Haushalt. Sondern auch Frauen, die mehr als «mitentscheiden».