El abrazo de la serpiente
Ciro Guerra, Argentinien, Kolumbien, Venezuela, 2015o
1909 reist ein deutscher Ethnologe ins Amazonasgebiet, um mit der Hilfe eines Schamanen eine Heilpflanze zu finden. Jahre später tut es ihm ein amerikanischer Forschungsreisender gleich. Beide stossen auf eine indigene Kultur, die die Romantik der Weissen mit eigenen Vorstellungen von Zeit und Fortschritt unterläuft.
Man könnte den schwarzweissen (und Oscar-nominierten!) Abenteuerfilm des Kolumbianers Ciro Guerra auch ganz anders zusammenfassen. Doch was einem bleibt, ist die halluzinative Stimmung eines Fiebertraums im farblosen Urwald, sind die Begegnungen mit Kranken und Verrückten zwischen Kautschukbäumen. Der Trip hält sich an reale Tagebücher von Forschungsreisenden, aber Guerra zeigt sie als flimmernde Erkundung einer indigenen Vernunft, die gegen die Kolonialisten kämpft und die Mythologie als praktischen Lebenssinn nutzt. Sprich: eine herzogsche Reise ins Grenzland der Sinne -- und zugleich irres Kino der einfachsten Mittel.
Pascal BlumApocalypse Now am Amazonas. Der Kolumbianer Ciro Guerra hat schon in früheren Filmen sein erzählerisches Talent bewiesen; in diesem mutigen Epos setzt er einen Massstab im Umgang mit der Erzählung aus dem Amazonas. Zusehends wandeln sich in «El abrazo de la serpiente» die beiden realen historischen Handlungen zum zeitüberschreitenden spirituellen Abenteuer, zum bildgewaltigen psychedelischen Trip, wie man ihn seit «Apocalypse Now» von Francis Ford Coppola nicht mehr in dieser Intensität gesehen hat. Joseph Conrad lässt auch hier mit seinem Roman «Heart of Darkness» grussen, der Mekong dort, der Kongo da und nun dieser Amazonas.
Packend, wie uns Guerra uber Mensch, Natur und die destruktive Macht des Kolonialismus nachdenken lässt, wie er die Rollen umkehrt, unvergesslich seine Tauchfahrt ins Innere des immensen Regenwalds. Erst ganz am Ende des sehr bewusst und in prächtigem Licht-Schattenspiel in Schwarzweiss gedrehten Films taucht er mit seiner Breitwand-Kamera, die von David Gallego präzis geführt wird und den Sog des Orts erfasst, auf aus dem Regenwald, in dem wir uns zwei Stunden lang bewegt haben, verschafft einen Überblick über die schiere Unendlichkeit des Amazonasbeckens und lässt uns aufatmen. Zumindest wir sind noch einmal davongekommen. Was für ein ausserordentlicher Sehgenuss.
Walter RuggleThe ravages of colonialism cast a dark pall over the stunning South American landscape in “Embrace of the Serpent,” the latest visual astonishment from the gifted Colombian writer-director Ciro Guerra. Charting two parallel journeys deep into the Amazon, each one undertaken by a European explorer and a local shaman, this bifurcated narrative delivers a fairly comprehensive critique of the destruction of indigenous cultures at the hands of white invaders, and if Guerra somewhat exhausts his insights before the end of its two-hour-plus running time, there’s no denying the film’s chastening moral conviction or the transfixing power of its black-and-white imagery. At once blistering and poetic, not just an ethnographic study but also a striking act of cinematic witness. (Review Variety, extract)
Justin ChangGalerieo


