My Childhood, My Country – 20 Years in Afghanistan
Phil Grabsky, Shoaib Sharifi, GB, Afghanistan, 2021o
Von 2002 bis 2021 begleitet dieser Dokumentarfilm einen afghanischen Bauernbuben, der anfänglich mit seiner Familie als Füchtling in Höhlen lebt, in sein kriegsversehrtes Dorf heimkehrt, die Taliban abziehen und wiederkehren sieht, zum KohleschaufLer aus Not heranwächst und als junger Familienvater nach Kabul zieht, wo er seine Schicksal wenden kann – und doch Spielball der tragischen Geschichte seines Landes bleibt. – BENEFIZ-STREAMING: DER ERLÖS KOMMT DER FAMILIE DES PROTAGONISTEN ZU.
2014 bereicherte der Amerikaner Richard Linklater das Weltkino um die fiktive Coming-of-Age-Saga Boyhood, die er in Texas über einen Zeitraum von zwölf Jahren mit denselben Darsteller:innen gedreht hatte. My Childhood, My Country ist das dokumentarische Gegenstück zu dieser legendären Langzeitstudie – und umso mehr «Weltkino», als der Film zeigt, was es heisst, an einem ungleich weniger privilegierten Ort zur Welt zu kommen und aufzuwachsen: in Afghanistan, das seit der russischen Invasion von 1979 Zankapfel der Grossmächte und ethnischer oder religiöser Milizen ist.
20 Jahre lang begleiteten der Brite Phil Grabsky und sein afghanischer Co-Regisseur Shoaib Sharifi den Bauernjungen Mir durch dieses Land der in- und ausländischen Besatzer und der daraus resultierenden Armut. Am Anfang, 2002, ist Mir siebenjährig und lebt mit seiner Familie als Flüchtling in den Höhlen von Bamiyan, wo die Taliban die Buddha-Statuen gesprengt und sich vor den anrückenden westlichen Truppen in die Berge zurückgezogen haben. Am Ende, 2021, filmt Mir als Nachrichten-Kameramann in Kabul selber, wie der Terror die Stadt überzieht und die Taliban wieder einmarschieren. Dazwischen erleben wir in neunzig aufwühlenden Minuten, wie das schelmische Lächeln und die Lebenslust in den Augen des Buben auf seinem unglaublichen Weg zum Mann – man vergleiche die Fotos – allmählich schwinden, weil ihm die Not und die Gefahr ständig im Nacken sitzen und die Plackerei nie endet. Gleichzeitig erleben wir, wie Mirs Hoffnung immer neu keimt und er mit seiner Familie weiter für ein besseres Leben kämpft – während die Weltpolitik auf den globalen Bildschirmen unaufhörlich vom Wiederaufbau Afghanistans redet und fast alle Gelder in die scheiternde Kriegsmaschinerie steckt.
Nach Fertigstellung des Films schenkten die Filmemacher Mir und seiner Frau ein Haus und ein Taxi. My Childhood, My Country gewann 2022 unter anderem den British Film Award und tourte weltweit – ausser in den USA. Kürzlich erfuhr Phil Grabsky, dass Mir sein Taxi und sein Haus verloren hat und wieder unter Lebensgefahr Kohle in den Bergen schaufelt wie einst als Teenager. Cinefile und die britische Produktionsfirma Seventh Art Productions zeigen My Childhood, My Country bis Ende Januar 2026 exklusiv in der Schweiz als Benefiz-Streaming für zwölf Franken pro Ausleihe: Der gesamte Erlös geht an Mir und seine Familie. Wir wissen nicht, ob das für ein neues Taxi reichen wird, aber eines steht fest: Mir braucht unsere Solidarität, stellvertretend für Unzählige mit ähnlichem Schicksal, deren Namen wir nicht kennen.
Andreas Furler
