Ma mère, dieu et Sylvie Vartan
Ken Scott, Frankreich, Kanada, 2025o
1963 bringt Esther Roland zur Welt, den jüngsten Spross einer grossen Familie. Roland wird mit einem Klumpfuss geboren, der ihn am Stehen hindert. Entgegen aller Ratschläge verspricht sie ihrem Sohn, dass er wie die anderen laufen und ein fantastisches Leben führen wird. Von diesem Moment an wird Esther alles in ihrer Macht Stehende tun, um dieses Versprechen zu halten.
Der Kanadier Ken Scott, der vom Komiker zum Drehbuchautor und schliesslich zum Regisseur wurde, erinnert sich daran, dass das Kino früher eine Traummaschine war, die dem Publikum eine Welt nach dessen Wünschen vorgaukelte. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Glauben an Wunder. In seiner Adaption der Autobiografie des französischen Anwalts Roland Perez, gespielt von Jonathan Cohen, will uns Scott glauben machen, dass sich die Realität dem Willen und den Gebeten einer Mutter (Leïla Bekhti, intensiv) beugt. Im Paris der 1960er Jahre lebt eine grosse Familie marokkanischer Juden, deren jüngster Sohn mit einem Klumpfuss geboren wird. Die Behinderung des Jungen scheint für alle ausser seiner Mutter eine unabänderliche Tatsache zu sein. Letztere verspricht ihrem Sohn, dass er gehen lernen, eine unglaubliche Frau heiraten und ein fabelhaftes Leben haben wird – also die gängige Vorstellung von Glück in der Nachkriegszeit. Durch unermüdliches Beten zu Gott, das Wiegen ihres Sprösslings mit Liedern von Sylvie Vartan und das Anrufen von Marabuts gelingt es ihr, das Blatt zu wenden: Das Kind lernt tatsächlich laufen und ist von da an nicht mehr zu bremsen. Man könnte das Misstrauen des Films gegenüber der traditionellen Medizin und seine etwas rückständige Verherrlichung einer aufopferungsvollen Mutterfigur als suspekt empfinden – heute fällt es dem Kino ja schwerer, uns Wunder zu verkaufen. Doch selbst wenn wir diese nicht schlucken, so lassen wir uns doch gern von der eleganten Rekonstruktion des Geschmacks und der Farben Frankreichs der 1960er Jahre mit ihren Kostümen, Jacken und Schlagersängern ablenken. Das Sahnehäubchen ist, dass Sylvie Vartan sich selbst spielt. Durch einen Zufall, wie ihn nur das Leben bereithält, ist der kleine Junge mit dem Klumpfuss zum Anwalt des Stars geworden. Ob Realität oder Kino: Hauptsache, man träumt!
Émilien Gür
