In Liebe, eure Hilde
Andreas Dresen, Deutschland, 2024o
Die NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi gehörte zusammen mit ihrem Mann zur «Roten Kapelle». Der Film zeichnet ihre letzten Lebensmonate von der Verhaftung 1942 über das Gefängnis, wo sie einen Sohn zur Welt bringt, bis zur Hinrichtung nach. Dieser Chronologie setzt er die rückwärts erzählte Vorgeschichte der Coppis von den gemeinsamen Widerstandsaktionen über die Heirat bis zur ersten Verliebtheit entgegen, um da wie dort auszuloten, was Menschlichkeit bewegt und bewirkt.
Die Hilde im Titel dieses Films ist die Berliner Arzthelferin Hilde Coppi, die im Zweiten Weltkrieg einem losen Netzwerk von Antinazi-Aktivist:Innen angehörte, dem die Gestapo den Namen Rote Kapelle gab. Hilde, ihr Mann Hans und dessen Freundeskreis hörten Radio Moskau, überklebten NS-Plakate, funkten (meistens vergeblich) Militärgeheimnisse an die Sowjets und benachrichtigen die Angehörigen gefangener Wehrmachtssoldaten, dass ihre Liebsten noch am Leben waren. Im September 1942 wurden fast alle verhaftet, verurteilt und innert Jahresfrist hingerichtet. Wer, ausser einem gebürtigen Ossi wie dem Berliner Regisseur und grossen Humanisten Andreas Dresen (Gundermann, Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush), erinnert sich heute noch an sie, wer mag nochmals eintauchen in jene dunkle Zeit der braunen Fanatiker, ihrer Handlanger und Henker? Doch schon nach wenigen Minuten weiss man, dass Dresens Film anders funktioniert. Zunächst einmal sieht und hört man da 1942 keine Zeichen des Krieges, stattdessen nur Sommer und Sonne in einer Schrebergartensiedlung, wo eine junge Frau mit ihrer Mutter Erdbeeren pflückt. Als Hildes Häscher aufkreuzen, auch keine Gestapostiefel, kein Geschrei, sondern korrekte Beamte, die das Mitnehmen warmer Kleider empfehlen. Anders gesagt: Dresen blendet die übliche Kriegs- und Nazistaffage kurzerhand weg und zeigt auf der Regime-Seite bloss Leute, die ihren Job machen, auf der Seite der Verhafteten die Angst und das Einknicken. Da also keine Monster, dort keine Held:innen, nur Menschen in einer schlimmen Situation. Und dann dies: Ab der Verhaftung wechselt der Film ständig zwischen Szenen, die vorwärts und rückwärts erzählen. Einerseits, wie Hilde im Gefängnis einen Sohn gebar und liebvolle umsorgte, wie sie Trost spendete und bekam bis zu ihrem Ende unter dem Fallbeil. Andrerseits wie die brave Angestellte zum innerdeutschen Widerstand stiess, nachdem sie Hans – in dieser Szenenabfolge – geheiratet, lieben gelernt und getroffen hatte. Am Endpunkt dieser Spiegeldramaturgie trifft die kalte NS-Tötungsmaschinerie unmittelbar auf das Glück der ersten Verliebtheit, doch auch dieser maximale Kontrast ist nicht der springende Punkt. Vielmehr lotet Dresen alle Szenen, selbst die tristesten der Gefangenschaft, nach Spurenelementen von Menschlichkeit aus und führt uns vor Augen, wie diese von der unscheinbaren, aber standhaften jungen Frau überspringt auf Mitgefangene und selbst auf ihre Wärterinnen. Unnötig zu sagen, dass dies erst recht schmerzhaft ist, doch Liv Lisa Fries, die junge Entdeckung aus der Serie Berlin Babylon, scheint zu spüren, dass Hilde Coppi vielleicht die Rolles ihres Lebens ist und verkörpert mit unwiderstehlicher Bescheidenheit und Authentizität Dresens Grundzuversicht, dass sich die Menschlichkeit den Menschen am Ende nicht austreiben lässt. Ein historischer Film? Vielleicht eher ein utopischer, jedenfalls ein grossartiger.
Andreas Furler