Napoleon
Ridley Scott, GB, USA, 2023o
Die spektakuläre Karriere des korsischen Feldherrn und französischen Kaisers Napoleon Bonaparte (1767–1823) vom steilen Aufstieg des jungen Offiziers in den Wirren der französischen Revolution über die Machtergreifung und die europäischen Kriege der 1800er und 1810er Jahre bis zur finalen Niederlage von Waterloo. Die Leitlinien des gross angelegten Freskos bilden Napoleons Obsession für seine kapriziöse Geliebte und zeitweilige Frau Joséphine und sein imperialer Ehrgeiz, der ihn in immer grössere Schlachten verstrickt.
The Duellists, Exodus, Gladiator, Kingdom of Heaven, 1492, The Last Duel ... Der britische Hollywood-General Ridley Scott hat auf dem Feld des Historienfilms schon viele erfolgreiche Schlachten geschlagen. Demnächst 86jährig, legt er sein Epos über den Heerführer und Kaiser Napoleon Bonaparte vor, die welthistorische Figur, an der sich auch Steven Spielberg seit zehn Jahren abmüht und Stanley Kubrick nach epischen Vorstudien gescheitert ist. Die gute Nachricht nun: Scotts Napoleon ist nicht sein Waterloo, Sinnbild der vernichtenden Niederlage, geworden. Die schlechte: Allzu weit weg davon ist die vorliegende Kinofassung nicht. Dies, obschon Vanessa Kirby als Napoleons zeitweilige Frau und ewige Obsession Joséphine ihre Figur mit reizvoller Durchtriebenheit ausstattet und Joaquin Phoenix die seine mit einem unerschöpflichen Repertoire an kauzigen Einfällen: Bald ist dieser Napoleon der ungerührte Schnelldenker im Getümmel der französischen Revolution, bald der korsische Provinzler ohne Manieren, bald der brillante Stratege – und jederzeit ein erbärmlicher Liebhaber. Doch zwei dramaturgische Probleme sind unübersehbar. Die Liebesgeschichte ist eher (hochamüsante) Soap als grosses Herzensdrama, weil die Liebe des Protagonisten-Paares primär als erotisches Kuriosum gezeichnet wird, und die (glänzend inszenierten, doch überlangen) Schlachten von Austerlitz, Borodino und Waterloo werden auf der politischen Landkarte kaum verortet. Was resultiert, ist ein prächtiger Bilderbogen. Der grosse geschichtliche Zusammenhang, heimlicher Kitt jedes Historienfilms, bleibt auf der Strecke – und damit das politische Genie des kühnen Erneuerers Napoleon, sein eigentliches Vermächtnis nebst jenem des masslosen Imperators, dessen Blutzoll der Film pflichtschuldig im Abspann auflistet. Vielleicht wird die angekündigte vierstündige Streaming-Fassung diesen Eindruck korrigieren. Federführendes Studio war mit AppleTV nämlich abermals ein Streamingdienst. Und der schickt sein Schlachtross in Vollmontur erst los, wenn es für ihn am ergiebigsten wird.
Andreas Furler