Golda
Guy Nattiv, GB, USA, 2023o
Im Oktober 1973 greifen Ägypten, Syrien und Jordanien am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, überraschend ihren Erzfeind Israel an. Die israelische Premierministerin Golda Meir, steht mit ihrem rein männlichen, von internen Konflikten zerrissenen Kabinett vor einer Herkulesaufgabe.
Konsequent konzipiert, historisch erhellend und mit Helen Mirren grandios besetzt, mutet dieses Kammerspiel über die israelische Premierministerin Golda Meir im Yom-Kippur-Krieg wie der rechte (oder mindestens ein recht richtiger) Film zur falschen Zeit an. Wer will schon von der existenziellen Gefährdung und prekären Verteidigung des Staates Israels im Oktober 1973 wissen, während der gleiche Staat mit der gleichen Rechtfertigung im Gazastreifen seit Monaten keinen Stein auf dem andern lässt und im Libanon logistisch virtuose Operationen auf Distanz durchführt, ob deren Kollateralschäden einem graut? Halten wir dennoch fest: 1973 wurde das Land bereits zum fünften Mal seit der auf einem UNO-Beschluss fussenden Gründung von 1948 von den umliegenden arabischen Staaten attackiert. Im Süden griff Ägypten, im Norden und Osten Syrien mit massiver Übermacht an, die Amerikaner verweigerten zunächst aktive Unterstützung, weil sie den mit Öl geschmierten Motor der Weltwirtschaft nicht abwürgen wollten, die 75jährige, gesundheitlich angeschlagene Gold Meir nahm mit ihren Generälen in der Kommandozentrale anfänglich Katastrophenmeldungen am Laufmeter entgegen. Golda konzentriert sich mit Ausnahme eingespielter Tonaufnahmen von der Front, eines Truppenbesuchs im Sinai und des Empfangs Kissingers in Meirs Haus auf dieses Tauziehen über Taktik, Strategie, politisch machbares und ethisch vertretbares Verhalten im Krieg und rückt den Nahost-Konflikt damit in einen Kontext, der in der aktuellen Situation gern vergessen geht. Überflüssig und plump sind einzig ein paar surreale Einlagen über Meirs Krankheit und nächtliche Alpträume. Plastsisch greifbar wird hingegen der Alptraum, ein demokratisches Land durch einen Krieg führen zu müssen. Ein fundamentaler Unterschied zur heutigen Situation fällt dabei allerdings unter den Tisch: Der Yom-Kippur-Krieg dauerte gerade mal 18 Tage, seine rund 22'000 Todesopfer waren vorwiegend Soldaten.
Andreas Furler