Aller Tage Abend
Felix Tissi, Italien, Schweiz, 2022o
Vier skurrile Episoden über das Alter: Irma und Henri leben den grossen Traum der ewigen Liebe, die ein böses Ende nehmen könnte. Leopold und Alex lernen einander bei einem Autounfall kennen. Nach einem Leben in Haft findet sich ein Knastbruder in der Freiheit nicht mehr zurecht und gewinnt dafür das Herz einer schönen Blumenfrau. Vor lauter Mitgefühl bricht der betagte Arzt Johann beim Anblick von Krankheit und Leid in Tränen aus, was dem Tod gar nicht passt.
Der Berner Regisseur Felix Tissi gehört zu den Eigensinnige des neueren Schweizer Films, die ihren ganz persönlichen essayistischen Weg zwischen Spiel- und Dokumentarfilm gehen, mag dabei auch nur alle paar Jahre ein neues Werk herausschauen. Auf die siebzig zugehend, legt er hier vier episodisch verwobene Miniaturen über alternde Liebes- und werdende Freundespaare, kettenrauchende PatientInnen und ähnlich moribunde Kreaturen vor, die in starren Kameraeinstellungen den seltsamen Wechselfällen ihre Restlebens trotzen und sich in kuriosen Dialogfetzen darüber unterhalten. Auf der Bühne kennt man dieses tragikomische Ringen um ein Quentchen Würde aller Widersinnigkeit des Lebens zum Trotz vom absurden Theater, als filmisches Vorbild kommt einem der schwedische Stoiker Roy Andersson (Songs from the Second Floor) in den Sinn. Doch Tissi findet gemeinsam mit seinen BühnenschauspielerInnen seinen eigenen surrealen Witz und Stil: Bei ihm tanzen Bettlägrige Zeitlupen-Rock'n'Roll mit motorisierten Matratzen, während der Ablasshandel über aufgebrummte Blumenkäufe abgewickelt wird. Anders gesagt: Lebende Tote bevölkern Szenerien voller lebendiger Dinge – und natürlich ist auch der Tod in seiner weissen Stretchlimo vor dem Sterben nicht gefeit.
Andreas Furler