L'immensità
Emanuele Crialese, Italien, Frankreich, 2021o
Rom in den 1970er Jahren: Die Familie Borghetti ist gerade in einen der vielen neuen Wohnkomplexe gezogen, die in der italienischen Hauptstadt gebaut wurden. Doch auch das grosse Apartment mit Blick über die ganze Stadt vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass Clara und Felice sich nicht mehr lieben. Clara rettet sich in die besondere Beziehung zu ihren drei Kindern. Gerade zu ihrer ältesten Tochter Adriana hat sie eine sehr innige Verbindung. Mit viel Fantasie und Leichtigkeit möchte Clara ihren Kindern die Freiheit geben, sich zu entfalten, doch als Adriana anfängt sich in der neuen Nachbarschaft als Junge vorzustellen, droht das feine Band, das die Familie noch zusammenhält, zu zerreissen.
Angelegt im Italien der 1970er Jahre erzählt dieses bittere Familienmelodram von einem Klima der Unterdrückung, das sich aus Religion, bürgerlichen Werten und allgemeiner gesellschaftlicher Heuchelei zusammensetzt. Im Zentrum der Erzählung stehen zwei Hauptopfer: Die lebenslustige, aber dauernd gezähmte und dazu auch noch betrogene Mutter, gespielt von einer wunderbaren Penelope Cruz, und eine Teenager-Tochter, die nicht nur androgyn aussieht, sondern sich tatsächlich eher als Junge wahrnimmt – was in den siebzigern fast noch mehr als auf Ablehnung auf totale Ratlosigkeit stiess. Alle Fluchtversuche aus diesem Alltagskorsett scheitern. Am ehesten gelingt noch jener in die Showwelt des damaligen Schwarzweiss-TV. Ein kluger, recht eigenwilliger Film (so auch das Farbkonzept: fast alles ist rot oder grün), der weder rührselig noch oberflächlich oder gar klischiert ist, und auf jeden Fall nachwirkt.
Till Brockmann