Moskau einfach!
Micha Lewinsky, Schweiz, 2020o
Herbst 1989: In Berlin bröckelt die Mauer, in der Schweiz fichiert die Bundesanwaltschaft weiterhin erklärte und vermeintliche Linke. Einer der Staatschützer wird als Statist ins Zürcher Schauspielhaus eingeschleust, wo ihm unversehens eine Hauptrolle zufällt – in Herzensdingen, auf der Theater- und auf der Politbühne.
Dramatisch ist das fein gearbeitet. Erzählerische Behäbigkeit gehört zur listigen Ironie. Und eine immer noch leis vor sich hin stinkende historische Absurdität wird so ernst genommen, wie sie es verdient. Drei Nominierungen beim Schweizer Filmpreis, unter anderem als bester Film.
Christoph SchneiderUn policier fédéral infiltre une troupe de théâtre pour repérer les gauchistes. Dans cette jolie comédie, Micha Lewinsky revient avec finesse sur le scandale des fiches.
Antoine DuplanGalerieo
Micha Lewinsky nimmt in «Moskau einfach!» den Fichenskandal so ernst, wie er es verdient: als nicht nur lächerliche Absurdität.
Die historische Nationalstimmung, die dieser Film zeigt, darf man auf seriös komische Weise verfolgungswähnlerisch nennen: Es ist 1989, in Europa geht der real existierende Sozialismus gerade verschütt, der Eiserne Vorhang rostet, reisst und wird zerbröseln. Doch manchem bröckelt die Metapher fast schon zu schnell weg, denn auch Feindbilder können einem ja ans Herz wachsen.
Zum Beispiel in Schweizer Staatsschützerhirnen will besagter Vorhang sich justament noch nicht öffnen. Die Bundesanwaltschaft legt Fichen von Bürgerinnen und Bürgern an, die es ihr nicht gut genug meinen mit der Schweiz, wie sie ist und gefälligst bleiben soll. Mehr als 900 000 Dossiers werden das am Ende sein, sie vermerken aller Art aufmüpfiges Regen und Treiben, insbesondere auch, ob jemand abends gern ein subversives Bier trinkt.
In dieser Atmosphäre fasst ein Überwacher den sehr inoffiziellen Auftrag, das Zürcher Schauspielhaus zu infiltrieren, wo sich die Unterwanderung durch so Sauschwaben oder durch die missratenen Töchter guter Patrioten sehr schön bei der Arbeit beobachten lässt. Es tut deshalb der Polizist Schuler (Philippe Graber) sein schweizerbeiges Habit ab, verstrubelt sich das Haar und übernimmt das Observieren gern und folgsam. Da aber beginnen ein Ort und die dort zu überwachenden Subjekte ihren Zauber zu entfalten. Und im Fall der Schauspielerin Odile (Miriam Stein) einen bekehrenden Liebreiz.
Komödientechnisch ist das fein gearbeitet. Nämlich so, dass die dramatisierte Realität nicht nur Karikatur ist, sondern auch bürgerliches Existenztrauerspiel. Und so, dass die erzählerische Behäbigkeit der listigen Ironie nützt. Wer in Entschlüsselungslaune ist, entdeckt stimmige Stimmungszitate und themenkundige Theatersatire.
Nun ja, dass eine aus Genialität, Übergriffigkeit und steueroptimiertem Opportunismus usammengeknetete Regisseurfigur Carl Heymann heisst, was ja stark an Claus Peymann erinnert, ist etwas flach. Aber: geschenkt! Im Übrigen nimmt Micha Lewinsky den Fichenskandal, diese immer noch leis vor sich hin mottende historische Peinlichkeit, so ernst, wie er es verdient. Also gar nicht ernst. Also sehr ernst.