Deux jours, une nuit

Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne, Belgien, Frankreich, Italien, 2014o

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Die Fabrikarbeiterin Sandra ist wegen einer Depression im Krankenhaus gewesen. Als sie zurückkehrt, erfährt sie, dass man ihre Kolleginnen und Kollegen vor die Wahl gestellt hat: Sandra wird wieder angestellt, oder sie alle beziehen einen Bonus von je 1000 Euro. Über das Wochenende muss Sandra versuchen, die Mehrheit für sich zu gewinnen.

Cotillard lässt vergessen, dass sie ein Star ist, der in amerikanischen Grossproduktionen wie «Inception» mitgewirkt hat: Man glaubt ihr die belgische Fabrikarbeiterin von Anfang an. Nicht überzeugend ist die Figur des Ehemanns (Fabrizio Rongione): Der rastet auch im grössten Stress nie aus, sondern ist immer nur hilfsbereit und verständnisvoll. Das ist aber der einzige Einwand gegen einen Film, der einen 96 Minuten lang mit der Hauptfigur bangen lässt.

Thomas Bodmer

Wirtschaftskrise, Leistungsdruck und die Verwandlung der Welt in ein einziges großes Gewerbegebiet - das packen die Dardenne-Brüder in diese einfache Geschichte. Eine junge Frau (Marion Cotillard) muss jeden ihrer Kollegen bitten, auf einen 1000-Euro-Bonus zu verzichten - dann kann sie ihren Job behalten. Eine Frage der Solidarität, der Menschlichkeit. Diese Heldin entwickelt enorm viel Kraft.

Martina Knoben

Was ist eine menschliche Existenz wert? Diese gewichtige Frage dient als Ausgangspunkt von Deux jours, une nuit, dem neuen Film des belgischen Regieduos Luc und Jean-Pierre Dardenne; und sie nehmen sie wörtlich. Sandra kehrt nach einer längeren Depression zu ihrer Arbeit zurück, um zu erfahren, dass ihre Stelle gestrichen werden soll. Der Chef stellt Sandras Arbeitskollegen vor die Wahl: Entweder es bekommt jeder eine Prämie von 1000 Euro, oder sie verzichten auf den Bonus und stimmen dafür, dass Sandra ihre Stelle behält. Der bleiben achtundvierzig Stunden, um die Hälfte der sechzehn Mitarbeiter zu überzeugen, für sie und gegen die Bonuszahlung zu stimmen. (Auszug)

Marian Petraitis

Marion Cotillard, transformée, remarquablement dirigée et pleinement investie dans son rôle, est une expérience bouleversante à vivre. Le cinéma des Dardenne, ancré dans le réel, sobre, économe de ses effets, fuyant toute facilité, atteint ici un degré rare de densité. On ne sort pas de ce film-là, on le garde en soi.

Arnaud Schwartz

Entretenant jusqu’à son issue un suspense habile, Deux jours, une nuit déploie ainsi chaque rencontre de Sandra avec ses collègues selon un système de boucles et de répétitions, une horlogerie complexe dont la beauté est de toujours dissimuler ses rouages. Toute la richesse du film tient dans les variations infimes de ces rencontres, qui dessinent au final une sorte d’éventail des comportements humains.

Romain Blondeau

Jean-Pierre et Luc Dardenne ne font aucune concession susceptible d'entraver l'intégrité de leur regard sur le monde, la force intrinsèque de leurs personnages, la chorégraphie humaine qui anime leur mise en scène. Un récit implacable, bâti sur le suspense d'un compte à rebours.

Jean-Dominique Nuttens

Il parraissait dès lors logique qu'ils ne figurent pas au palmarès de la dernière édition de la manifestation, où ils dévoilaient en mai dernier Deux jours, une nuit. Ce qui ne veut pas dire que le film ne le méritait pas, bien au contraire… Dans ce neuvième long métrage de fiction depuis 1987, les frères Dardenne réussissent à surprendre. On est toujours plongé de plain-pied dans une problématique sociale, ici la crise économique et le chômage qui en découle, de même qu’on est toujours aussi proche des personnages, avec cette caméra à l’épaule qui les suit jusqu’à l’épuisement. Là où les Belges surprennent, c’est à travers leur récit, plus tendu que de coutume. Le film se déroule en effet sur un week-end, plus un prologue et un épilogue, durant lequel on va suivre Sandra (Marion Cotillard, qui quand elle est bien dirigée s’avère être une brillante actrice), condamnée à convaincre ses collègues de renoncer à une prime afin qu’elle ne soit pas licenciée. La voici contrainte de répéter encore et encore les mêmes phrases, comme elle répétait les mêmes gestes à l’usine, belle mise en abyme de cette condition prolétaire dont les réalisateurs belges sont les meilleurs porte-parole.

la Rédaction

Galerieo

28.10.2014
Im Kapitalismus ist es kalt

Als depressive Fabrikarbeiterin ist Marion Cotillard so überzeugend, dass man vergisst, dass sie ein internationaler Star ist.

Von Thomas Bodmer

Das hat noch gefehlt! Wegen einer Depression musste Sandra in die Klinik, und als sie wieder zu Hause ist, erfährt sie, was an ihrem Arbeitsplatz geschehen ist. Man hat ihre 16 Kolleginnen und Kollegen vor die Wahl gestellt: Soll man Sandra wieder anstellen, oder wollen sie alle deren ­Arbeit unter sich aufteilen und dafür einen Bonus von je 1000 Euro erhalten? Die Mehrheit hat für den Bonus gestimmt. ­Sandra verkriecht sich ins Bett.

Doch ihre Freundin Juliette und ihr Mann Manu erreichen nicht nur, dass die Abstimmung am Montagmorgen wiederholt wird. Sie überreden Sandra auch dazu, über das Wochenende eine Mehrheit für sich zu gewinnen zu versuchen. Woher soll sie aber das nötige Selbstbewusstsein nehmen?

Wie immer bei den Brüdern Luc und Jean-Pierre Dardenne ist das Milieu präzis gezeichnet: Man sieht potthässliche Häuser und weiss, dass für deren Bewohner 1000 Euro viel sind. Das weiss auch Sandra, sie kann jeden verstehen, der den Bonus möchte – aber wenn sie ihre Stelle verliert, können ihr Mann und sie das Haus nicht halten.

Marion Cotillard ist ein Star. Sie hat mit Woody Allen gedreht und in amerikanischen Grossproduktionen wie «Inception» (2010) mitgespielt. Doch als Sandra lässt sie das alles vergessen. Sie hat seit langem mit den Dardennes arbeiten wollen, und sie ist in jeder Minute überzeugend als belgische Fabrikarbeiterin. Schwerer hat es ­Fabrizio Rongione, der zum fünften Mal für die Brüder vor der Kamera steht: Sein Manu verliert in dem ganzen Stress nie die Nerven, ­sondern ist immer nur der hilfsbereite und verständnisvolle Ehemann. So was schafft ­eigentlich nur ein Heiliger.

Dies ist aber der einzige Ausrutscher. Ganz erstaunlich ist, wie die Dardennes und ihre Darsteller es fertigbringen, Sandras Arbeitskolleginnen und -kollegen zu lebendigen Figuren zu machen. Denn meist stehen die in einem Türrahmen und haben nur vier, fünf Minuten Zeit, um uns für ihre ganz persönlichen Probleme zu interessieren. Doch die Dardennes proben so lange, bis eine Figur Gestalt annimmt; und dann filmen sie die Szene möglichst in einer einzigen Einstellung, damit die aufgebaute Spannung nicht verloren geht.

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perlentaucher.de, 28.10.2014
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Tages-Anzeiger, 29.10.2014
«Ich hätte auch 200 Takes gemacht»

Wenn Marion Cotillard für die belgischen Dardenne-Brüder spielt, geht sie ans Äusserste. Im Drama «Deux jours, une nuit» kämpft sie als Arbeiterin um ihren Job und muss dafür bei ihren Kollegen quasi betteln gehen

Von Pascal Blum

Die Dardenne-Brüder sind für ihre akribische Arbeitsweise bekannt. Haben sie Ihre Erwartungen erfüllt?

Sie haben sie übertroffen. Ich bin ein grosser Fan ihrer Filme,es gibt keinen einzigen, der mir nicht gefällt, das ist ja schon mal was. Sie brachten mir höchstes Vertrauen entgegen und hatten zugleich grösste Ansprüche an meine Arbeit, derart grossen Ansprüchen bin ich noch nie begegnet.

Wie äussert sich das?

Die zwei haben eine geistige Dynamik, eine bestimmte Vorstellung einer Szene. Sie gehen auf das winzigste Detail ein, mit unglaublicher Präzision. Sie drehen gern ungeschnittene Einstellungen, da muss man immer bei der Sache sein, weil man nachher nichts mehr ändern kann. An meinem dritten Tag wollten sie, dass ich genau in dem Moment in Tränen ausbreche, in dem ich meinen rechten Schuh anziehe. Manchmal kamen die Tränen etwas früher oder ein wenig später, beim linken Schuh. Die Brüder waren nett, es war ungefähr das 50. Take, als sie sagten: «Das war ­wunderbar, aber wenn die Tränen ein kleines bisschen früher kommen ­könnten, wäre das gut.» Ich habe das ­geliebt.

Das setzt Ihnen nicht zu?

Erst ihre hohen Anforderungen erschaffen die Energie, die man aus ihrem Kino kennt. Was die Brüder im Kopf haben, ist normalerweise das, was man auf der Leinwand sieht. Ehrlich gesagt: Hätte ich ihre Filme nicht gesehen, hätte ich gedacht, sie seien wahnsinnig. Manchmal habe ich 90 Takes gedreht, auch 200 hätte ich gemacht, weil ich wusste: Sie lassen so lange nicht locker, bis sie kriegen, was sie wollen. Tatsächlich ­haben die Brüder noch nie so viele ­Takes gedreht wie in diesem Film. Das haben wir dann auch gefeiert.

Sie haben in «La môme» Edith Piaf gespielt, aber die Rolle der Arbeiterin Sandra in «Deux jours, une nuit» wirkt noch einmal physischer.

Die Körpersprache ist wichtig, um eine Figur zu erschaffen: Wie soll Sandra gehen? Wie soll sie atmen, wie bewegt sie ihren Kopf? Das Innere lässt sich dann ablesen am Äusseren, an den Finger­nägeln, an der Lautstärke ihrer Stimme. Ich habe mir Sandra so vorgestellt, dass sie hin und her gerissen ist, sie wird angeschoben von einer Kraft und sträubt sich zugleich dagegen, vorwärtszugehen. ­Zudem nimmt sie extrem starke Medikamente wie Xanax, all das erzeugt eine bestimmte Art von Energie.

Sandra muss ihre Arbeitskollegen davon überzeugen, dass sie auf je 1000 Euro Zulage verzichten, damit sie ihren Job behalten kann. Hat ihr Kampf auch etwas Glamouröses?

Sie wirkt erst schwach, aber es gibt eine Kraft in ihr. Ich finde, sie gewinnt eine Würde. Ist das glamourös? Es ist schön. Der Film handelt von Solidarität, aber er zeigt zugleich, dass es einem unmöglich wird, sich solidarisch zu zeigen, wenn man in der Scheisse steckt. Ange­nommen, man hat zwei Kinder und ein tiefes Einkommen, man braucht die 1000 Euro, damit zahlt man ein Jahr Strom und Gas. Was tun? Die Gesellschaft treibt einen dazu, dass man ­irgendwann keine Wahl mehr hat.

Ihre Realität allerdings sieht glamouröser aus. Wie bringen Sie die Rolle mit Auftritten an Festivals wie Cannes zusammen?

Ich trage Schminke auf, ziehe was Hübsches an und gehe über den Teppich, mehr nicht. Sicher, mein Leben ist ­anders als das Leben der meisten Menschen. Einen anderen Job möchte ich nicht, höchstens vielleicht etwas mehr Macht über meinen Terminkalender. Aber ein Filmstar bin ich nicht. Ich lebe auch nicht abgeschottet von der Welt. Vielleicht liegt darin ein Grund, weshalb die Brüder Dardenne mich wollten.

Haben Sie für den Film unter prekär Beschäftigten recherchiert?

Das nicht, ich habe da mein eigenes ­Rezept. Ich versuche, mich soweit wie möglich zu leeren, um dann eine Tür zu öffnen und zu schauen, wer zuerst ­hereinkommt. Dann schnüre ich ein ­Paket aus Menschen, Musik und Gedanken. Man muss für eine Figur immer mehr ­erschaffen als das, was man auf der Leinwand sieht. Ich musste wissen, weshalb Sandra depressiv ist. Erst, ­wenn man weiss, warum jemand an Depressionen leidet, kann man die ­Depression ­spielen. Ich habe das dann alles in Notiz­büchern aufgeschrieben, die ich jeden Tag ­benutzt habe. Weil man sich ständig füttern muss mit der Substanz einer ­Figur, damit man in der Lage ist, aus dem Nichts in Tränen auszubrechen.

Haben Sie Ihre Notizbücher den Dardenne-Brüdern gezeigt?

Nein, das ist meine eigene Küche! (lacht)

Depression ist ein Gefühl von Lähmung, aber der Kampf von Sandra scheint glasklar und zielgerichtet. War dieser Gegensatz ein Thema während des Drehs?

Darüber haben wir nicht gesprochen, das waren einfach Tatsachen. Ihr Weg war von Anfang an klar, es stand alles im Skript. Wir haben eher diskutiert, dass wir nicht sofort zeigen können, wie stark Sandra sein kann. Sie hat diese innere Kraft, aber sie weiss nicht davon. Also ging es darum, zu fragen, wann wir einen Blick auf ihre Kraft erhaschen.

Trotzdem: Der Film spielt wie schon «Le gamin au vélo» im Sommer, an hellen Tagen und in einem hoffnungs­frohen Licht. Im Gegensatz zu früheren Dardenne-Filmen, die nebelgrau waren und im Herbst spielten.

Sie haben recht. Man muss bedenken, dass wir viele Aussenaufnahmen ­gedreht haben. Da ist es besser, wenn es nicht ständig regnet, vor allem in einem Land wie Belgien. Aber jetzt, da ich über ­das Licht nachdenke, merke ich, dass ­der Film noch viel interessanter wird.

© Alle Rechte vorbehalten Tages-Anzeiger. Zur Verfügung gestellt von Tages-Anzeiger Archiv
The Guardian, 19.05.2014
© Alle Rechte vorbehalten The Guardian. Zur Verfügung gestellt von The Guardian Archiv
Les Inrocks, 19.05.2014
© Alle Rechte vorbehalten Les Inrocks. Zur Verfügung gestellt von Les Inrocks Archiv
Libération, 19.05.2014
© Alle Rechte vorbehalten Libération. Zur Verfügung gestellt von Libération Archiv
Marion Cotillard on the Dardenne Brothers Filming Technique
/ Madman Films
en / 20.10.2014 / 01‘57‘‘

Une Journée à Cannes avec Marion Cotillard
/ Canal+ Cinéma
fr / 20.05.2014 / 07‘39‘‘

Interview avec Marion Cotillard, Jean-Pierre Dardenne et Luc Dardenne
/ AlloCiné
fr / 26.11.2014 / 5‘50‘‘

Filmdateno

Synchrontitel
Zwei Tage, eine Nacht DE
Two Days, One Night EN
Genre
Drama
Länge
95 Min.
Originalsprache
Französisch
Bewertungen
cccccccccc
ØIhre Bewertung7.1/10
IMDB-User:
7.3 (51072)
Cinefile-User:
6.5 (4)
KritikerInnen:
< 3 Stimmen

Cast & Crewo

Marion CotillardSandra
Fabrizio RongioneManu
Olivier GourmetJean-Marc
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Bonuso

iGefilmt
Marion Cotillard on the Dardenne Brothers Filming Technique
Madman Films, en , 01‘57‘‘
s
Une Journée à Cannes avec Marion Cotillard
Canal+ Cinéma, fr , 07‘39‘‘
s
Interview avec Marion Cotillard, Jean-Pierre Dardenne et Luc Dardenne
AlloCiné, fr , 5‘50‘‘
s
gGeschrieben
Besprechung züritipp
Thomas Bodmer
s
Besprechung perlentaucher.de
Ekkehard Knörer
s
Interview mit Marion Cotillard
Tages-Anzeiger / Pascal Blum
s
Besprechung The Guardian
Peter Bradshaw
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Besprechung Les Inrocks
Romain Blondeau
s
Besprechung Libération
Gérard Lefort et Olivier Séguret
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