Bohemian Rhapsody
Bryan Singer, Dexter Fletcher, GB, USA, 2018o
Bohemian Rhapsody feiert die Rockband Queen, ihre Musik und ihren charismatischen Leadsänger Freddie Mercury. Der Film erzählt vom kometenhaften Aufstieg der Band durch ihren revolutionären Sound, bis sich Mercury, dessen ezentrischer Lebensstil ausser Kontrolle gerät, unerwartet von Queen abwendet, um seine Solokarriere zu starten. Dem Sänger gelingt es jedoch gerade noch rechtzeitig, die Band für das „Live Aid”-Konzert im Wembley-Stadion wieder zu vereinigen. Bereits getroffen von seiner AIDS-Diagnose, beflügelt er die Band zu einem der herausragendsten Konzerte in der Geschichte der Rockmusik.
Es gibt nur zwei Gründe für diesen Film, der die Geschichte des extravaganten Leadsängers, Inspirators, Dominators und Zerstörers der Rockgruppe Queen, Farrukh Bulsara alias Freddie Mercury (1946–1991) eher konventionell, was Mercurys Homosexualität angeht, fast schon verschämt erzählt: Mercurys Verkörperung durch den Newcomer Rami Malek und die Nachinszenierung des Live-Aid-Konzerts von 1985 im Londoner Wembley-Stadion. Beide Gründe aber sind so stark, dass man sich nur an sie erinnert. Malek verkörpert Mercury mit jeder Faser seines filigranen Körpers, seines fiebrigen Geists und seiner erstaunlichen Stimme – und gewann damit 2019 den Oscar als bester Hauptdarsteller. Das Konzert wiederum ist der erlösende 20minütig Orgsamus am Ende des Films, der einen mit seinen ständigen Interrupti-Darbietungen grandioser Songs bis dahin fast zur Verzweiflung getrieben hat. Am Ende begreift man, warum, und geniesst den Erguss umso mehr.
Andreas FurlerDie Schnurrbärte sitzen, und die Konzerte sind spektakulär nachgestellt. Und vor allem: Rami Malek («Mr. Robot») ist eine Sensation und gewann zu Recht einen Oscar.
Andreas ScheinerDieser Spielfilm über Freddie Mercury und seine Band Queen hat schon in der Vorproduktion viele Drehbuchautoren-Nerven verschlissen, weil die überlebenden echten Bandmitglieder wohl nicht ganz unkompliziert bei der Umsetzung ihrer Biografie fürs Kino waren. Und dann floh auch noch der Regisseur Bryan Singer mitten in den Dreharbeiten vom Set und tauchte nicht mehr auf. Aber wie Hauptdarsteller Rami Malek sich in Freddie Mercury verwandelt, ist ein gespenstisch gutes Erlebnis.
David SteinitzBohemian Rhapsody sort rarement des canons propres du biopic, mais peut s’enorgueillir de raviver la flamme autour d’un groupe de légende et d’interpeller autour de la personnalité de Freddie Mercury, dont les néophytes apprendront à louer le culte sans trop rechigner.
Frédéric MignardGalerieo
Der Queen-Film «Bohemian Rhapsody» zeigt Freddie Mercury als unersättliches Partytier. Die verbleibenden Bandmitglieder dagegen liessen sich als Biedermänner porträtieren.
Der Spielfilm «Bohemian Rhapsody» über die britische Band Queen und ihren Sänger Freddy Mercury ist eine erstklassige Tragikomödie geworden – schon bevor man auch nur eine Minute davon gesehen hat. Denn das Werk gehört zu den chaotischsten Hollywoodprojekten der letzten Dekade und hat in der Filmbranche schon allein wegen seiner verfluchten Entstehungsgeschichte Kultstatus erreicht.
Dieses Drama geht so: Nachdem Freddie Mercury 1991 als eines der ersten prominenten Opfer der Immunschwächekrankheit Aids gestorben war, hatten die drei verbleibenden Mitglieder sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft der Band ohne ihren Superstar. Der Bassist John Deacon verabschiedete sich in die Frührente. Der Schlagzeuger Roger Taylor und der Gitarrist Brian May aber touren bis heute mit neuem Sänger unter dem Label Queen durch die Welt, haben ein Queen-Musical initiiert und wünschten sich auch einen Film – wovon man als steinreiche Legende eben so träumt.
Deshalb beauftragten sie 2008 den Drehbuchautor Peter Morgan, der unter anderem die Netflix-Serie «The Crown» schreibt, mit einem Queen-Skript. Kurz darauf stiess der Komiker Sacha Baron Cohen («Borat») zu dem Projekt, der unbedingt Freddie Mercury spielen wollte. «Bohemian Rhapsody» sollte seine Eintrittskarte ins ernste Schauspielfach werden, wie «Dead Poets Society» für Robin Williams oder «The Truman Show» für Jim Carrey.
Verschwundener Regisseur
Aber Roger Taylor und Brian May waren mit der ersten Drehbuchfassung unzufrieden, weil es ihnen darin zu viel um Freddy Mercury und zu wenig um Taylor und May ging. Auch mit Cohen kam es zum Streit; er verliess das Projekt 2013. Obwohl danach zwei weitere hochdekorierte Drehbuchautoren am Skript herumbastelten, passierte drei Jahre lang fast nichts. Bis 2016 der Regisseur Bryan Singer («The Usual Suspects») einstieg – und die Sache noch mehr verkomplizierte. Denn er fing zwar tatsächlich an zu drehen. Aber dann verschwand er plötzlich mitten in den Dreharbeiten vom Set und war nicht mehr aufzufinden.
Weil man einen millionenteuren Musikblockbuster aber nicht einfach halb fertig in den Müll werfen kann, suchte das Filmstudio hektisch nach einem Notregisseur mit Musikfilmerfahrung. Den fanden sie in Dexter Fletcher, der gerade den Spielfilm «Rocketman» über Elton John – einen von Mercurys besten Freunden – abgedreht hatte. Er übernahm die noch ausstehenden sechzehn Drehtage und leitete die Postproduktion. Ein vermutlich gut bezahlter, aber undankbarer Job, denn im Abspann steht als Regisseur jetzt trotzdem nur der flüchtige Bryan Singer.
Und nun? Stellt sich nach zehn Jahren Produktionstohuwabohu natürlich die Frage, was bei dieser unfreiwilligen Gruppenarbeit herausgekommen ist.
Der Lichtblick des Films ist der Freddie-Darsteller Rami Malek. Der 37-jährige Amerikaner mit ägyptischen Wurzeln wurde durch die Hacker-Serie «Mr. Robot» bekannt und könnte mit diesem Auftritt in der anstehenden Filmpreissaison ordentlich abräumen. Denn wie er sich in Freddie Mercury verwandelt, ist fast schon gespenstisch gut. Die Entwicklung vom schüchternen Jugendlichen mit hervorstehenden Zähnen und fettigen Haaren, der sich im Pub andere Bands anhört und von der Bühne träumt, hin zur Kunstfigur Freddie Mercury, die wie ein stolzer Pfau die Massen zur Ekstase bringt, gelingt ihm perfekt. Bei Malek wird eine grosse Portion von dem Rock-’n’-Roll-Geist spürbar, den Mercury ausgestrahlt hat.
Das zeigt sich vor allem in einer fast vollständigen Nachstellung des legendären, gut 20-minütigen Live-Aid-Benefizkonzerts von 1985, das hier zur Rahmenhandlung wird. Damals galt die Band schon als verbraucht vom eigenen Erfolg; zu viele Nummer-eins-Hits, zu viele Riesenkonzerte, zu viele extravagante After-Show-Orgien, als dass sie sich und ihre Fans noch einmal hätten überraschen können. Der Auftritt wurde dann aber ein sensationelles Comeback und gilt als einer der besten der Rockgeschichte.
Malek spielt Mercury hier als einen Mann, der für ein paar Minuten über den Zuschauermassen und auch den Bandkollegen zu schweben scheint. Vielleicht nicht zuletzt, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, dass er schwer krank war und nicht mehr viel Zeit haben würde.
Aber dann wird die Geschichte der Band in Rückblenden erzählt – und damit fangen die Probleme des Films an. Stellenweise sieht er aus wie ein opulent bebilderter Wikipedia-Eintrag, weil viel zu viel Stoff hineingepackt wurde: wie Freddie Mercury, Kofferschlepper am Flughafen Heathrow, sich bei der Studentenband Smile bewirbt; wie sich aus dieser Gruppe Queen herausschält; wie sie mit der Rockoper-Single «Bohemian Rhapsody» zu Stars aufsteigen; und wie Mercury seine Homosexualität entdeckt und auslebt. Zudem muss gezeigt werden, dass auch die anderen drei Nummer-eins-Singles komponiert haben – weswegen jeder Einzelne noch seinen Hitmoment ins Drehbuch geschrieben bekommen hat.
«Es ist genug, Freddie!»
Bei der Dramatisierung der Ereignisse haben sich die Filmemacher diverse Freiheiten erlaubt. So gibt es im Film zwei emotionale Aussprachen, in denen Freddie Mercury seinen Bandkollegen erzählt, dass er sich mit HIV infiziert hat, und seinen Eltern eröffnet, dass er schwul ist. Das hat beides in dieser Form nie stattgefunden. Nun sind solche Zuspitzungen in einem Spielfilm natürlich erlaubt, wenn es darum gehen soll, die Essenz einer Geschichte, einer Epoche, eines Lebens offenzulegen. Aber das war hier anscheinend nicht geplant. Stattdessen gehen die Co-Produzenten des Films, Brian May und Roger Taylor, ihrer persönlichen Nachlassverwaltung und Mythendeutung nach – was stellenweise peinlich ist.
So zeigt der Film Freddie Mercury als unersättliches Partytier, das von Drogen und Sex nie genug bekommt, während die anderen Bandmitglieder am liebsten um zehn ins Bett gehen. Nun sind die zahlreichen Queen-Biografen zwar in vielen Details zerstritten, nicht aber darin, dass Roger Taylor (Ben Hardy) keine einzige Party ausliess. Auch dass Brian May (Gwilym Lee) Mercury ständig mit einem «Es ist genug, Freddie!» zur Räson rufen musste, ist ganz so märtyrerhaft nicht überliefert.
Dabei wäre es interessant, zu erfahren, warum Taylor und May so erpicht darauf sind, im Nachhinein als Biedermännerversionen ihrer selbst zu erscheinen, als sei der ganze wilde Rock-’n’-Roll-Zirkus nur ein Albtraum gewesen – und warum zum Teufel die Filmemacher da mitgemacht haben.
Rami Malek spielt in «Bohemian Rhapsody» den verstorbenen Queen-Sänger Freddie Mercury. Die Ähnlichkeit ist frappierend.
Freddie Mercury liess sich von wenig beeindrucken, von einem schnoddrigen Punk schon gar nicht. Die Sex Pistols hatten mit ihren legendären TV-Auftritten zwar halb Grossbritannien geschockt. Doch als Pistols-Bassist Sid Vicious Freddie Mercury 1976 in einem Studio blöd kam, gab dieser pfeilschnell zurück. Mit ein paar wenigen Worten demontierte er Sids Punk-Credibility. Zumindest Mercury gab die Anekdote so wieder, in einem Interview ein paar Jahre vor seinem Tod. Ja, Freddie Mercury besass Schalk und vor allem Präsenz – auf und neben der Bühne.
Einen Schauspieler mit Kaliber braucht es, um so einen zu verkörpern. Zunächst hätte Sacha Baron Cohen Mercury im Biopic «Bohemian Rhapsody» spielen sollen. Cohen zog sich 2013 aus dem Projekt zurück, er und die übrig gebliebenen Queen-Mitglieder waren sich uneinig gewesen über die Ausrichtung des Films. Von Cohen übernahm der US-Amerikaner Rami Malek. Kürzlich wurde nun der erste Trailer zu «Bohemian Rhapsody» veröffentlicht; die Bilder zeigen: Malek ist genau die richtige Wahl. Doch wer ist Rami Malek eigentlich?
Am Anfang: «Gilmore Girls»
Malek kommt 1981 in Los Angeles zur Welt. Der Vater wanderte einst aus Ägypten in die USA aus, verdiente sein Geld als Versicherungshausierer in Kalifornien. Malek spielt bereits in der Highschool in Musicals mit, später studiert er Schauspiel an der University of Evansville im Bundesstaat Indiana. In den 2000ern ergattert er seine ersten Leinwandrollen; in der Serie «Gilmore Girls» und in der Sitcom «The War at Home». Später folgen Auftritte als Pharao in der «Night at the Museum»-Reihe und als Terrorist in der achten Staffel von «24».
2010 ist ein Vorgeschmack dessen, was noch kommen soll: Malek spielt in Tom Hanks’ und Steven Spielbergs HBO-Serie «The Pacific» Korporal Merriell «Snafu» Shelton. Einen Südstaatler, der im Zweiten Weltkrieg im Pazifikkrieg kämpft. Zwischen enigmatisch und bedrohlich gibt er den US-Marine, der Zuschauer war mesmerisiert.
Sein «Mr. Robot» brennt sich ins Gedächtnis
Fünf Jahre später brennt sich Maleks Schauspiel dann endgültig ein ins Gedächtnis von Kritikern und Publikum. In der Serie «Mr. Robot» verkörpert er Elliot Alderson, einen IT-Spezialisten und Hacker mit dissoziativer Identitätsstörung. Mehrere Preise bringt ihm die Rolle ein. Zu Recht. Malek spielt diesen verzweifelten, von Angstzuständen geplagten Mann mit einer Intensität, die ihresgleichen sucht. Mal taumelt sein Alderson cartoonhaft überdreht durch Morphin-Manien, mal erstarrt er überraschend in einer verstörenden Lethargie, mal ist er nur ein schluchzendes Häufchen Elend.
Und nun: Freddie Mercury. Für Malek dürfte die Rolle ein weiterer Karrierehöhepunkt werden. Dass er genügend Charisma besitzt, um diesen überlebensgrossen Menschen zu verkörpern, das bewies er auch abseits der Leinwand. In TV-Auftritten etwa, wie jenem bei Stephen Colbert. Dort erzählte Malek von seinem Treffen mit Roger Taylor und Brian May von Queen, in London in den ehrwürdigen Abbey Road Studios. Freddie Mercury habe von einem signierten Foto zu ihm gesprochen, scherzt Malek im Interview: «Don’t fuck this up!» Und er erzählt diese Anekdote mit einem Schalk, den Freddie Mercury selber sicherlich begeistert hätte.