Blue My Mind
Lisa Brühlmann, Schweiz, 2017o
Die 15-jährige Mia zieht in eine neue Stadt. Ihre Eltern sind ihr längst fremd geworden, auf die Frage, ob sie adoptiert sein könnte, reagiert ihre Mutter verletzt, ohne aber zu antworten. Mia stürzt sich ins wilde Teenagerleben, um Anschluss zu finden. Doch dann beginnt sich ihr Körper seltsam zu verändern. In ihrer Verzweiflung versucht sie sich mit Sex und Drogen zu betäuben, um aufzuhalten, was wie eine Flutwelle über sie hereinbricht. Doch die Natur ist stärker.
Mit ihrem Masterfilm an der Zürcher Hochschule der Künste hat Lisa Brühlmann nicht das erste Coming-of-Age-Drama gedreht, das mit Fantasy-Motiven spielt. Aber es ist bestechend düster, wie sie da die körperliche Metamorphose der Pubertät in fantastischen Body-Horror weitet -- und zugleich eine Zürcher Jugend zwischen Youtube-Tutorial und Versagensangst porträtiert, die sich auf Brachen trifft und so grandios amerikanisierte Sätze wie «Chli Cheekbones zeige!» sagt. Bester Film, bestes Drehbuch und beste Darstellerin am Schweizer Filmpreis.
Pascal BlumGalerieo
Pubertät ist ein Schrecken: Am 13. Zurich Film Festival hatte Lisa Brühlmanns Drama «Blue My Mind» Premiere.
Jeder kann sich daran erinnern, wie es war, in die Pubertätsjahre zu kommen. Man suchte Anschluss bei denen, die nichts von einem wollten, man sehnte sich nach Kicks und Kitzel, und daheim ass man Fische direkt vom Aquarium. Gut, dieser letzte Satz wird nicht auf alle zutreffen. Aber er beschreibt das, was die 15-jährige Mia in «Blue My Mind» tut, dem Diplomfilm der ZHDK-Absolventin Lisa Brühlmann. Es beginnt mit dem Meer, es endet mit dem Meer, und dazwischen wachsen ihr Schwimmhäute zwischen den Zehen und gluckert es in ihrem Unbewussten. Warum ist Mia derart vom Wasser angezogen?
Die Antwort darauf sollte man gar nicht unbedingt verraten. Wobei Lisa Brühlmann in ihrem Filmdebüt, das am Montag im deutschsprachigen ZFF-Wettbewerb Premiere hatte, nicht einmal die komplexe Tonalität sucht. Sondern auf bestechend konsequente Art die körperliche Verwandlung der Pubertät in die Fantastik weitet, als Metapher und als realer Schrecken, bis die Haut von Mias blaugefleckten Beinen abblättert. Eine effektvolle Metamorphose zwischen Body-Horror und Jugenddrama – wobei der Alltag des Aufwachsens stets das grösste Grauen bleibt. Mias Eltern ziehen mit ihr in eine ebenfalls blaukalte Blockwohnung irgendwo vor Zürich, in der Schule ist sie die Neue und wird erst mal geschnitten von den Krassen auf dem Pausenplatz. Die Erwachsenen sind allesamt ziemliche Dödel, angesichts von zusammengewachsenen Zehen heisst es dann einfach: Kinderarzt, der verweist dich weiter an den Orthopäden.
«Chli Cheekbones zeige»
Als Mia dann doch in die Bande vom Pausenhof aufgenommen wird – gedreht wurde in Zürich, etwa in der Binz und in Wollishofen –, gehts um weniger fabelhafte Motive: Gruppendruck, erste sexuelle Erfahrung, Schlampen-Image und die Interaktion mit eher beschränkten Jungs, die, wenn sie vögeln wollen, fragen: «Wotsch go bounce?» Aber immer ist da eine grausam wilde Kraft im Spiel, die aus Mia ein anderes Wesen macht. Vor allem kennt Lisa Brühlmann die Jugend in Zürich, die sich nicht in teuren Clubs trifft, sondern am Waldrand oder auf den letzten Brachen, die es noch gibt. Die weiss, wie man sich im Netz präsentiert und Tanzunterricht nimmt bei Youtube und so grandios amerikanisierte Sätze sagt wie «Chli Cheekbones zeige!» oder «Fuck, min Dad isch dihei».
Das sagt Gianna, eine der Girls aus Mias Clique, gespielt von der Schweizer Bloggerin und Instagram-Berühmtheit Zoë Pastelle Holthuizen, von der es auch Schminktutorials gibt. Sie spielt grossartig, mit einer Art kontrollierten Hemmungslosigkeit, die überhaupt nicht aufgesetzt wirkt. Die Zürcherin Luna Wedler ist als Mia die genauere Darstellerin, aber das muss sie auch sein für diese Figur, die der Schrecken packt angesichts ihrer Veränderung – und die dann davonschwimmt zum neuen Kontinent.