Im Lauf der Zeit
Wim Wenders, Deutschland, 1976o
Bruno fährt mit einem alten Möbelwagen, der ihm auch als Unterkunft dient, durch die kleinen Orte entlang der Grenze zur DDR und repariert in den aussterbenden lokalen Kinos die Projektoren. Eines Morgens beobachtet er, wie ein Mann mit seinem VW-Käfer in die Elbe rast. Der Mann, Robert Lander, klettert mit seinem Koffer aus dem versinkenden Auto und schwimmt an Land. Bruno nimmt ihn mit in seinem Möbelwagen: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und einer Reise durch ein unbekanntes Deutschland zur je eigenen Herkunft und Biographie.
Schon in der Anfangsszene zeigt sich der ganze Charme dieses Films: seine Spontaneität und Intensität, seine Lakonik und seine Melancholie. In drei, vier Minuten ist eine Stimmung geschaffen, ein Thema intoniert. (...) Ein Männerfilm, schon wieder, aber einer ohne den frauenfeindlichen Zynismus der amerikanischen Vorbilder. (...) ‹King› und ‹Kamikaze› sind kontaktgestört, nicht misogyn. Statt durch muntere Aktivität, quasischwule Kumpanei und inhumane Herablassung oder Verteufelung die Überflüssigkeit des anderen Geschlechts zu suggerieren, schlagen sie sich, sehr deutsch, redlich mit sich selber herum: zwei Träumer und Narren, Metaphysiker der Landstrasse, zwei deutsche Hamlets, die mit den Vätern hadern, den Gang zu den Müttern antreten und ins weite Land der Seele reisen.
Wolf Donner