Joker: Folie à Deux
Todd Phillips, USA, 2024o
War der sechsfache Mörder Arthur Fleck alias Joker bei seinen Verbrechen zurechnungsfähig? In einer Hochsicherheitsanstalt wartet der zum Volkshelden mutierte Antiheld auf seinen Prozess. Im Knastchor trifft er auf eine junge Bewunderin, die ihrerseits das Haus der Eltern abgefackelt haben will: der Beginn einer buchstäblichen Amour fou, die Arthur zum Singen und Tanzen und zu irrwitzigen Auftritten vor dem Richter und seiner Fangemeinde inspiriert.
Todd Phillips eigenständige Variation über den bösartigen Clown Joker aus den Batman-Comics war 2019 ein weltweites Phänomen: Als vereinsamter Aussenseiter, der sich in blutiger Selbstermächtigung zum Rächer von Verlierern jeder Coleur aufschwingt, wurde Joker auf und vor der Leinwand zum Volkshelden und spülte mehr als eine Milliarde Dollar in die Kinokassen. Die Verschmelzung des Borderline-Spezialisten Joaquin Phoenix mit der Titelfigur und Phillips rabenschwarze Vision von einem New York alias Gotham als Sinnbild einer Gesellschaft im freien Fall faszinierte offenbar weit über die globale Zielgruppe zorniger junger Männer hinaus. Der Nachfolgefilm nun verhandelt im Grunde einzig die Frage, ob der sechsfache Mörder Arthur alias Joker vor Gericht verurteilt oder für unzurechnungsfähig erklärt wird, und konfrontiert ihn während der Wartezeit in Verwahrung mit einer Bewunderin, die ihn zum Singen und zu neuen anarchistischen Höhenflügen vor Gericht und vor seiner Fangemeinde auf der Strasse animiert. Der Gag dabei: Die grandiose Lady Gaga spielt diese Muse und in ihrem Sog mutiert der Film zum Musical, der Method Actor Phoenix zum überdrehten Entertainer, der sich an der Seite seiner unvermuteten Geliebten als Superstar imaginiert. Diese narzisstische Selbstüberhöhung und die gleichzeitige Hoffnung auf eine kleine Apokalypse, die mit allen Widrigkeiten des Lebens aufräumt, ist erneut brillant gedacht, auch wenn es dem Film für eine Länge von 138 Minuten an Stoff mangelt. Die Bravour des visuellen und musikalischen Handwerks macht das Manko ein Stück weit wett, reicht für einen weiteren Triumph aber nicht aus. Um es mit einem der anklingenden Ohrwürmer zu sagen: Man kommt «bewitched «(betört) von packenden Einzeleinfälle aus dem Kino, doch nicht «bewildered» (verstört) ob eines Weltentwurfs wie beim ersten Streich.
Andreas Furler