C'è ancora domani
Paola Cortellesi, Italien, 2023o
Delia ist eine Ehefrau und Mutter im ärmlichen Nachkriegsrom von 1946. Täglich erleidet sie Verachtung, die Gewalt und die kaum kaschierte Untreue ihres Mannes, dem sein bettlägrige Vater empfiehlt, die Frau nicht täglich, dafür bisweilen gehörig zu schlagen. In diesem Frühling aber ist die Familie in hoffnungsvollem Aufruhr. Die erstgeborene Marcella hat Aussicht auf eine gute Partie, ein Automechaniker aus dem Quartier umwirbt Delia dezent, und sie persönlich erhält einen mysteriösen Brief, der ihr neuen Mut macht.
Die erste Regiearbeit der 51jährigen italienischen Schauspielerin und Sängerin Paola Cortellesi war und ist in vielfacher Hinsicht ein Phänomen. In Italien im Oktober 2023 lanciert, wurde sie dort zum erfolgreichsten Film des Jahres und schlug an den Kinokassen Barbie und Oppenheimer. Im laufenden Jahr hat sie bereits ein gutes Dutzend der prestigeträchtigsten Filmpreise gewonnen, in der Schweiz kam sie seit der Lancierung im Frühling ohne nennenswertes Werbebudget auf annährend 100'000 Zuschauer:innen. Der Erfolg ist so verständlich wie verdient. Die Regisseurin und Hauptdarstellerin erzählt von einer dreifachen Mutter und Zuverdienerin im Rom der frühen Nachkriegszeit, die in einer Ehe mit einem gewalttätigen Mann gefangen ist und zu allem Übel auch noch dessen bettlägerigen Vater versorgen muss. Der Mief quillt aus jeder Ritze der ärmlichen Wohnung, die Frauenverachtung aus jeder Pore ihrer dumpfen Dominatoren. Lichtblicke sind einzig die Aussicht der ältesten Tochter auf eine gute Partie, kleine Alltagsbegegnungen mit Nachbarinnen, die es auch nicht besser haben, sowie ein geheimnisvoller Brief, den die Heldin hütet wie ihren Augapfel. Doch diese Geschichte der Unterdrückung und Erniedrigung, das ist der erste Clou, erzählt Cortellesi überhaupt nicht als naturalistisch-deprimierendes Drama, wie man es erwarten würde, sondern als Komödie und zeitweiliges Musical voller umwerfender Verfremdungseffekte. Die Ausbrüche des Mannes werden als absurdes Ballett inszeniert, fröhliche Schlager trällern im Hintergrund. Und eben der geheimnisvolle Brief, der offenbar einen Ausweg aus der Misere verheisst! Hat ihn der schüchterne Garagist um die Ecke verfasst? Und wie kommt es, dass die Heldin gegen das Ende hin unversehens recht leichtfertig damit umgeht? Natürlich verraten wir nichts, fest steht nur, dass uns Cortellesi da grandios erwischt. Wetten, dass auch Sie reinfallen und die verblüffende Auflösung umso beglückender finden werden?
Andreas Furler