Tauwetter
Peter Liechti, Schweiz, 1987o
Zur Zeit der Schneeschmelze, wenn die Hügel im Appenzell mit einem Netz von grünen und weissen Flecken überzogen sind, gleiten gefüllte Wassereimer langsam den Hang hinauf und hinab. Schliesslich gerät die sanfte Bewegung in heftiges Schwingen. Schüsse peitschen durch die Luft, die Eimer werden durchlöchert. Langsam kommt das Wasser ins Fliessen. Das ist der Höhepunkt eines Rituals, das tief im Innern des Berges seinen Anfang hat. Dann leiten Wasserspuren durch die Luft hin zu den tausenden Hängen, das Wasser beginnt zu strömen und lässt den Brunnen im Tal fast überfliessen.
Galerieo
Eine ungewöhnliche Konzertreihe führen die beiden Pianisten Claudia Rüegg und Tomas Bächli im Kino Morgental durch: Sie stellen Klaviermusik neben Kurzfilme von Richard Serra und Peter Liechti - ein besonderer «Zeitvertreib».
Hände auf Leinwand und Tasten
Diesmal setzen sie Klaviermusik neben Kurzfilme von Richard Serra und Peter Liechti. Und auch da geht es wieder um Grenzüberschreitungen, denn diese Filme sind nicht das, was man sich sonst als Handlungsfilm gewohnt ist, sondern inspirieren sich eher an bildender Kunst. Serra etwa, 1939 in San Francisco geboren, hat sich vor allem als Plastiker hervorgetan. 1968 filmte er auch. In seinem Kurzfilm «Hand Catching Lead» sieht man nur die Hand Serras, die Bleistücke fängt und verfehlt. Die Dauer von «Hands Tied» ist dadurch bestimmt, wie lange Serra braucht, um seine mit einem Seil zusammengebundenen Hände aus dem Knoten zu befreien. «Hand Scraping» ist eine Art Choreographie für zwei Paar Hände, die damit beschäftigt sind, den Boden sorgfältig von einem Haufen Stahlspäne zu säubern. Philip Glass hatte da übrigens seine Hände mit im Spiel.
Kaum fünf Minuten dauern diese Filmstücke jeweils, und auch Peter Liechtis «Tauwetter» mit dem Künstler Roman Signer ist mit acht Minuten nur unwesentlich länger. Aber gerade durch diese Knappheit eignen sich diese Filme dafür, in einen Zusammenhang mit Musik zu treten, sind sie doch selber musikalisch bestimmt. Eine weitere Beziehung ergibt sich durch die Hände.
Mit ihren Händen zaubern Claudia Rüegg und Tomas Bächli Klaviermusik von Johann Sebastian Bach bis Martin Sigrist aus den Tasten. Komponisten wie Mozart und Beethoven, Steve Reich und Frederic Rzewski, der jüngst erst wiederentdeckte Erich Itor Kahn sowie der Zürcher Alfred Zimmerlin sind mit von der Partie. Die Programme wechseln täglich.
So werden sich spannende, unerwartete Abläufe ergeben, die Augen und Ohren gleichermassen und wechselweise ansprechen ein «Zeitvertreib», so der Titel der Veranstaltung besonderer Art. Denn die ausgewählten Kurzfilme zeigen und sind Zeitvertreibe, freilich nicht in einem oberflächlichen Sinn, sondern indem Zeit erfahrbar und greifbar gestaltet wird. Das tut auch Musik unablässig.