Don't Look Now
Nicolas Roeg, GB, Italien, 1973o
Ein britischer Restaurator und seine Frau reisen nach dem Unfalltod ihrer kleinen Tochter nach Venedig, um eine Kirche zu renovieren und Distanz zum traumatischen Erlebnis zu gewinnen. Das Zusammentreffen mit zwei ältlichen Schwestern, von denen die eine blind ist und seherische Fähigkeiten hat, verstört das Paar aufs Neue: Sendet das tote Kind Zeichen aus dem Jenseits, um vor einer weiteren Katastrophe zu warnen? Das Paar schlittert in einen Abgrund von Raum und Zeit. – Frei nach einer Kurzgeschichte von Daphne du Maurier.
Schon Thomas Mann wusste, dass in Venedig der Tod lauert. Anders als in dessen Novelle ist es in Don't Look Now aber nicht die Liebe zu einem Knaben, die zum Verhängnis wird, sondern der Tod der eigenen Tochter. Viel realer kann Horror kaum sein als die traumatische Anfangssequenz, in der ein kleines Mädchen unbemerkt von den Eltern in einem Teich ertrinkt. In den ersten Minuten wird schon der ganze Film durch zahlreiche Motive vorweggenommen. Aber wie Trauer nur mit der Zeit verarbeitet werden kann, ist man auch als ZuschauerIn noch nicht in der Lage, diese Bilder zu verstehen. Gemeinsam mit Donald Sutherland und Julie Christie muss man erst nach Venedig, um den Schock zu verarbeiten. Gerade die Zeit, die eigentlich bei der Trauerbewältigung helfen soll, gerät aber aus den Fugen und zeigt an, dass hier noch mehr im Argen liegt. Ein Film, der die Genregrenzen sprengt und lange nachwirkt.
Moritz HagenA superbly chilling essay in the supernatural, adapted from Daphne du Maurier's short story about a couple, shattered by the death of their small daughter, who go to Venice to forget.
N.N.Galerieo
Nicolas Roeg, der Visionär und Regisseur von «Don’t Look Now», ist 90-jährig gestorben.
Das ganze Durcheinander, das der Mensch im Inneren hat, all die Vorstellungen und Vorahnungen, Ängste und Herzensstiche – wenige haben dafür einen solch prägnanten Ausdruck gefunden wie der britische Regisseur Nicolas Roeg, der am Samstag mit 90 Jahren gestorben ist. Berühmt wurde er 1973 mit dem psychologischen Horror von «Don’t Look Now», dessen deutscher Titel, «Wenn die Gondeln Trauer tragen», schon fast surreale Poesie erreichte. Am Anfang dieses Mädchen im roten Regenmäntelchen, das in den Teich vor dem Haus fällt, in dem der Vater gerade ein Dia studiert, aus dem auf einmal blutrote Farbe ausläuft: Mit seiner visionären Montagetechnik sprengte Roeg die Ketten der Ereignisse. Zeit war konzentriert, Gefühlszustände überlagerten sich.
Einen beängstigenderen Film über Trauer hat es seither nicht mehr gegeben. Und Roeg freute sich nicht wenig darüber, dass die Sexszene zwischen Donald Sutherland und Julie Christie so zärtlich schien, dass die Zuschauer sie für real hielten. Geboren 1928 in London, wirkte Roeg bei «Lawrence of Arabia» als Kameramann im zweiten Stab mit. Seine eigenen Filme galten eigentlich alle als Skandale: «Performance» (1970) mit einem wilden Mick Jagger, danach «Walkabout» (1971) über zwei englische Geschwister, die einem Aborigine-Jungen durch den Outback folgen. Roeg war sicher auch die geeignete Person, um David Bowie in «The Man Who Fell to Earth» (1976) noch alienartiger aussehen zu lassen, als er sonst schon aussah.
Seiner Zeit voraus
Mit seinem assoziativen Stil, zu dem ein brüsker Schnitt und ein interessanter Gebrauch von Zooms gehörten, stellte Roeg die Traumata und Ekstasen der Psyche dar: Kaleidoskopisch fügen sich die Dinge zusammen, ohne sich je ganz zu erschliessen. Er spritzte in den 70er-Jahren experimentelle Formen ins populäre Kino; die Liste von Regisseuren, die ihm viel verdanken, ist lang und reicht von Christopher Nolan bis Paul Thomas Anderson.
Einer, der im Kino Vorher und Nachher verdichtete, war auch seiner Zeit voraus. Das Publikum ging selten mit, zuletzt drehte Roeg sporadisch fürs Fernsehen. «Yes, I see there’s a problem», sagte er 1987 über seine Beziehung zu den Zuschauern. Die Erklärung liegt vielleicht in dem Satz, den der Regisseur Dominik Graf über sein erstes Mal schrieb, als er einen Film von Nicolas Roeg sah: «Dies hier hatte eindeutig mehr mit Leben zu tun als mit Kino.»