Gräns
Ali Abbasi, Dänemark, Schweden, 2018o
Die schwedische Grenzbeamtin Tina besitzt eine für eine Zöllnerin besonders praktische Gabe: Sie kann besser riechen als alle anderen Menschen und so etwa Schmuggelware oder auch die Emotionen der Menschen erkennen. Doch einmal versagt ihr Geruchssinn: Bei Vore, der denselben Chromosomenfehler wie Tina hat.
Horrormärchen, Love Story, fantastisch-realistische Reflexion über Integration und Selbstbehauptung - alles das ist dieser großartige, ganz und gar ungewöhnliche Film von Ali Abbasi. Im Zentrum: die 40-jährige Tina, die merkwürdig deformiert aussieht und die Gefühle von Menschen riechen kann. Dann trifft sie einen Fremden, der ähnlich aussieht und sie mit ihrer wahren, wilden Natur bekannt macht. Integration, Inklusion? Es gibt auch die Freiheit, sich dagegen zu entscheiden.
Martina KnobenAus Schweden, als Filmland nicht mehr ganz so bedeutsam, kommt mit «Gräns» des iranischstämmigen Regisseurs Ali Abbasi doch mal wieder ein herausragender Genrefilm; Body Horror jenseits der Artengrenzen, polymorphe Identitätssuche oder so ähnlich, jedenfalls fragt dieser grausam kluge Film: Wo hat die Überschreitung Grenzen?
Pascal BlumAli Abassi, der als Iraner in Schweden lebt, hält mit Gräns der schwedischen Gesellschaft einen Spiegel vor. Die Fragen nach dem Umgang mit Minderheiten, nach menschlichen Abgründen und der Suche nach der eigenen Identität verpackt Abassi in einen spannenden und überraschenden Film.
Tereza FischerBorder est finalement le film le plus surprenant de ce début d'année, le plus étrange, sûrement, le plus dérangeant, aussi ; passionnant, également, parce qu'il n'avance jamais là où on l'attend, brisant menu l'idée selon laquelle avec un peu de culture cinéma on sait à peu près ce qui va se passer et dans quel univers on baigne.
Eric LibiotDieser schaurig-schöne Genrefilm «Gräns» aus Schweden erzählt von einer merkwürdigen Grenzbeamtin.
Etwas vom Wunderbarsten an «Gräns» sind die tierischen Codierungen: Die Hauptfigur Tina arbeitet als Grenzbeamtin und schnüffelt wie eine Hündin, wenn die Ankommenden von der Fähre an ihr vorübergehen. Will jemand etwas an ihr vorbeischmuggeln, zuckt ihre Oberlippe, denn Tina hat einen besonderen Sinn für die Schamgefühle der Menschen und ausserdem ein seltsam deformiert wirkendes Kartoffelgesicht (die Schauspielerin Eva Melander trägt eine eindrucksvolle Prothese). Tinas Freund, der in ihrem Waldhaus lebt, darf man als Parasiten bezeichnen, und wenn die beiden abendessen, ähneln die Spaghetti Regenwürmern.
Erst Vore aber wird Tina dazu verführen, richtige Insekten zu essen. Dieser Vore passiert irgendwann den Zoll. Erstens sieht er ähnlich fürchterlich aus wie Tina, und zweitens riecht sie an ihm etwas ganz Neues. Ist es Lust? Es könnte jedenfalls sein, dass hier zwei füreinander bestimmt sind, die beide aus der Menschenart schlagen.
Regisseur Ali Abbasi («Shelley») kam aus dem Iran nach Schweden und hat seinen Spielfilm basierend auf einer Kurzgeschichte des Autors John Ajvide Lindqvist («Let the Right One In») inszeniert. Zu der Story hat er einen Ermittlungs-Plot um einen Kinderschänderring hinzugedichtet, der allerdings wenig Sinn ergibt.
Auf den Kopf gedreht
Dafür ist das Porträt von zwei Fremdartigen von seltener Intelligenz: Im Schengen-Raum des Genres dreht «Gräns» Identitätsfragen auf den Kopf und schlägt aufregende Möglichkeiten des Andersseins vor, über die Arten- und Geschlechtergrenzen hinweg. «Gräns» dekonstruiert Normalität, erzählt von der Pracht der Fehlbildungen und enthält eine Sexszene, wie man sie schon lang nicht mehr gesehen hat, weil sie von irritierender Saftigkeit ist.
Das Fantasy-Kino, zu dem man diesen Film durchaus zählen kann, bevölkert seine Welt ja gern mit merkwürdigen Fabelwesen. Aber kaum je entwickeln solche Erwachsenenmärchen das subversive Potenzial von «Gräns», wo nicht nur die biologische Mutterschaft umcodiert wird, sondern selbst die Überschreitung irgendwann übertreibt. Die Utopie gibts halt auch nur innerhalb der Mehrheitsgesellschaft, aber womöglich ist genau das der Traum: dass im Alltagsleben die Grenzen trotz allem durchlässig bleiben. Denn ganz so fremd sind einem die Menschen am Ende von «Gräns» doch nicht geworden.
Galerieo





