The Sisters Brothers
Jacques Audiard, Frankreich, Spanien, Rumänien, USA, 2018o
Oregon, 1851: Die Sisters Brothers, zwei Auftragskiller im Dienst eines ominösen „Commodore“, sollen einen Mann töten, der eine Wunderformel für die Goldsuche entwickelt hat. Auch Jim Morris, der Kontaktmann der Brüder, ist ihm auf der Spur. Und als er ihn aufspürt, verfolgt er lieber eigene Ziele, statt ihn den Sisters Brothers auszuliefern. Kommt hinzu, dass einen der Brüder längst Zweifel an der Langlebigkeit seines blutigen Gewerbes umtreiben.
Triggerwarnung für Arachnophobiker! JOHN C. REILLY KRABBELT EINE GIFTSPINNE IN DEN MUND! Ansonsten ein veritabler Eurowestern mit Hollywoodstars, gedreht in einem spanischen Western-Themenpark (!) und in Rumänien. Jacques Audiards Verfilmung von Patrick deWitts 2011 für den Booker Price nominierten Roman zeigt einen wilden Westen, der so real ist, wie vor vier Jahren in Dheepan die Pariser Vorstadt. Joaquin Phoenix hat Spaß als perfekter Freak, Jake Gyllenhaal ist sehr niedlich - und nebenbei bietet dieser witzige, traurige und charmante Film über die Killerbrüder Sisters die ideale Entspannung für begeisterte "Red Dead Redemption" 2-Spieler, die mal ne Auszeit brauchen und trotzdem in Stimmung bleiben wollen.
Juliane LiebertSo hat man einen Westernhelden noch selten gesehen. Der Franzose Jacques Audiard («Un prophète») wurde in Venedig für diese unberechenbare Etüde über alltägliche Mannsbilder für die beste Regie ausgezeichnet.
Hans Jürg ZinsliDeux frangins sans foi ni loi font parler la poudre dans un western réalisé par Jacques Audiard. D’une noirceur impitoyable, le film ne dédaigne pourtant pas l’humour.
Antoine DuplanJacques Audiard s'éloigne (avec raison) du western américain comme du western spaghetti. Il n'est ni dans la parodie ni dans l'imitation. Il trace un chemin élégant, sans Indiens, sans diligence, sans fille du shérif. Avec Eli et Charlie Sisters, il se fraie la route vers le paradis, à coups de revolver.
François ForestierGalerieo
Dass er nicht nur den Lustigen spielen kann, hat der Schauspieler schon vor «The Sisters Brothers» bewiesen.
Magnolia, 1999
Im Episodenfilm von Paul Thomas Anderson spielt Reilly einen schnauzbärtigen Polizisten. Als einsamer Gläubiger ist dieser allerdings so sehr mit seinem eigenen beruflichen Versagen beschäftigt, dass er kaum bemerkt, wie sich sein kokainsüchtiges Date (Melora Walters) vor Verzweiflung fast umbringt.
A Prairie Home Companion, 2006
Seinen letzten Film widmete der grosse Robert Altman einer Live-Radioshow, die seit 1974 allwöchentlich ausgestrahlt wird. Der (echte) Moderator Garrison Keillor schrieb das Drehbuch und spielt die Hauptrolle. Reilly gibt zusammen mit Woody Harrelson ein derbes Cowboy-Duo, das augenzwinkernd einen Song namens „Bad Jokes“ zum Besten gibt.
Cyrus, 2010
Der bekannteste Nebendarsteller der Welt bekommt endlich eine Hauptrolle: Im Film der Brüder Duplass spielt Reilly einen vom Pech verfolgten Mittvierziger. Als er dank seiner Ehrlichkeit in Molly (Marisa Tomei) seine Liebe findet, funkt ausgerechnet deren 21-jähriger Nesthocker-Sohn (Jonah Hill) dazwischen. Reilly glänzt als überforderter Durchschnittsmann.
Step Brothers, 2008
Es gibt vermutlich keine zwingendere Komödie über die Idiotie erwachsener Männer und die Einfühlsamkeit von Eltern, die zwei 40-Jährige mit Strubbelhaaren vor sich haben und noch immer die kleinen Buben in ihnen sehen. Eine wirklich herzerwärmende Geschichte vom heilenden Blödsinn, der die Menschen zusammenbringt, während ringsum alles zusammenkracht (Kajütenbett, Segelyacht).
Walk Hard: The Dewey Cox Story, 2007
Das letztgültige, vollendete Musiker-Biopic handelt vom Sänger Dewey Cox, den es nie gegeben hat. Trotzdem kommt er einem sehr bekannt vor: Weil diese Parodie den ganzen klischierten Biografiefilmquatsch auf so bedepperte Art zuspitzt, dass man kreischen möchte. John C. Reilly singt selber und wurde für einen Grammy nominiert - na also.
John C. Reilly, der meistens liebenswürdige Kerle spielt, mimt jetzt einen Killer im Western «The Sisters Brothers». Warum das passt, erzählt er im Interview.
Sie sind für Ihre Rollen in Komödien wie «Step Brothers» bekannt, worin zwei 40-jährige Einzelkinder zusammenziehen, die sich aufführen wie kleine Buben. Ist die Komödie die geeignetste Form, um die Gesellschaft zu beschreiben?
Sie ist eine grossartige Form, um die Wahrheit zu sagen. Komödien sind nie einfach nur Eskapismus. «Step Brothers» mag ein ausserordentlich albernes Unterfangen gewesen sein, aber der Film macht viele ernsthafte Aussagen über Themen wie Ehe oder Scheidung. Wir sind da tief in die Probleme von Familien eingedrungen.
Haben Sie irgendwann entschieden, dass Sie Komödiendarsteller werden?
Überhaupt nicht. Wann immer ein Schauspieler die Rollen aufzählt, die er in seiner Karriere spielen will, denke ich: Wird nicht geschehen, ausser du hast sehr viel Geld und kannst deine Filme selber bezahlen. In Wahrheit besteht das Leben der meisten Schauspieler darin, Gelegenheiten wahrzunehmen, die jemand anders für sie erzeugt hat.
Finden Sie aktuelle US-Komödien interessant?
Da ein Film naturgemäss Vergangenes aufzeichnet, wissen die Leute sehr genau, was alles schon gemacht wurde. Angenommen, man begegnet um 1900 einem Maler und betrachtet dessen Gemälde: Entweder kennt man seine Einflüsse – oder man kennt sie nicht, weil Informationen zu dieser Zeit noch nicht so einfach zugänglich waren. Heute ist das anders, weshalb es noch nie so schwierig war, eine originelle Idee zu haben.
Was man an Hollywood derzeit gut sehen kann.
Derzeit gibt es zwei Arten von Unterhaltung. Zum einen Comicverfilmungen wie «Spider-Man», die dafür sorgen, dass ein Langstreckenflug schneller vorbeigeht, aber mit dem eigenen Leben kaum etwas zu tun haben. Ich mag ja solche Filme auch, aber wenn ich einen davon zu Ende geschaut habe, könnte ich nicht einmal die Handlung zusammenfassen. Zum anderen gibt es Regisseure, die etwas erschaffen wollen, das beim Publikum Resonanz erzeugt. Aber dafür gibt es immer weniger Platz in den Kinos. Ich glaube, heutzutage wollen die Leute einfach nur unterhalten werden, weil sie in einer Zeit leben, die ihnen an die Nieren geht. Und wer will ihnen das zum Vorwurf machen?
«The Sisters Brothers», Ihr aktueller Film, gehört eher zur zweiten Sorte von Unterhaltung: ein Neo-Western mit traumähnlichen Bildern, der auf Patrick DeWitts 2011 für den Booker Prize nominierten Roman beruht. Sie haben die Rechte an dem Buch selber gekauft. Lesen Sie viel?
Nein, aber meine Frau liest ständig. Sie hat mir das Manuskript hingelegt, einen riesigen Stoss Papier. Ich dachte nur «Oh, Mann, was soll ich jetzt damit?» Ich habe es dann aber in einem Tag gelesen, das Buch ist ein richtiger Pageturner. Sonst lese ich sehr wenig Romane und ausgenommen von Drehbüchern kaum je Fiktionales. Lieber mag ich Sachbücher, aus irgendeinem Grund lese ich gerade sehr viele Bücher übers Überleben. Geschichten von Leuten, die auf dem Meer treiben oder alleine auf einem Berggipfel zurückgelassen wurden. Solche Sachen.
Im Kino ist der Western immer mal wieder zurück, dann verschwindet er wieder. Ist «The Sisters Brothers» sein grosses Comeback?
Western waren doch nie wirklich weg. Oder wie viele Jahre können Sie aufzählen, in dem kein einziger Western rauskam? Ich würde sagen: kein einziges Jahr. Ausserdem wurde der Western im Südwesten der USA geboren – was sollte man dort denn sonst drehen?
Sind Sie mit Western aufgewachsen?
Auch, ja.
Die Sprache im Film ist sehr spezifisch, wirkt aber etwas antiquiert. War es schwierig, unter einem französischen Regisseur auf Englisch zu drehen?
Nein, nein. Audiard versteht Englisch sehr gut. Er spricht es einfach nicht, weil … nun, er ist eben Franzose. Aber wir hatten Übersetzer. Und wir hatten viele Frauen, die hinter der Kamera arbeiteten, deshalb mussten wir uns sehr genau überlegen, was und wie wir etwas sagten. Da war so eine Art Feminität in unseren Gesprächen. Aber wir wollten ja keine Sausage-Party.
Worin unterscheidet sich «The Sisters Brothers» von klassischen Western?
Als Kind liebte ich die Filme von Sam Peckinpah, diese Klarheit, dieses Schwarzweiss, hier die Guten, da die Bösen. Und Bumm-Bumm-Bumm. Das war wie ein Spiel. Aber das wollten wir hier vermeiden. «The Sisters Brothers» sollte ein reiferer Western werden, ein Western mit Emotionen. Kommt dazu, dass die Amerikaner sehr viel nostalgischen Bullshit über sich selber glauben. Deshalb war es gut, dass wir einen europäischen Regisseur engagiert haben, der eine andere Sicht auf die Vergangenheit hat.
Bitte sagen Sie uns, dass die Spinne, die im Film in Ihren Mund krabbelt, ein Spezialeffekt war.
Ich wünschte, es wäre so. Es war ein beängstigender Augenblick, meinen Mund offen zu haben, ihn dann zu schliessen. Und dann schrien alle: «Verletz bloss die Spinne nicht!» – «Und was ist mit mir?», fragte ich. (lacht) Nein, das war ein Scherz, natürlich ist die Spinne ein Effekt. Aber ist es nicht erstaunlich, wie gut diese Technik inzwischen geworden ist? Und für einen Moment überlegt man: «Moment, war das jetzt echt?»
Wie anstrengend war der Dreh?
Wenn ich abends jeweils nach Hause kam, fühlte ich mich erschöpft – aber erschöpft im besten Sinn. Ich hatte alles gegeben, körperlich, emotional, mental. Das muss so sein, man will als Schauspieler nichts in der Tasche behalten, sondern alles geben.
Sind Sie ein guter Reiter?
Ganz okay. Aber ich hatte keine Erfahrung damit, schnell zu reiten. Das war ein Akt blinden Vertrauens. Pferde sind sehr unberechenbar. Aber ich umarmte sie jeden Tag, gab ihnen einen Apfel. Ich wusste, wie wichtig das ist.
Sie spielen oft liebenswürdige Kerle und wirken auch selbst sehr umgänglich. Wie bleibt man so angenehm in diesem Geschäft?
Wenn Sie fragen, weshalb uns Schauspieler manchmal an Figuren erinnern, die sie gespielt haben, dann liegt das daran, dass Teile von einem selbst immer durchschimmern, wenn man sich einer Figur verschreibt. Wenn ich also an einer Rolle arbeite, dann suche ich bei der Figur nach Merkmalen, die ich von mir selber kenne. Alles andere ignoriere ich.
Im Ernst?
Ja, und dann verstärke ich alle Charakterzüge, die ich mit meiner Figur gemeinsam habe. Es kann sein, dass nur ein Scheibchen meiner Persönlichkeit mit der Figur zur Deckung kommt. Aber das mache ich dann ganz gross.
So werden Sie nie eine Figur spielen können, die völlig anders ist als Sie!
Würde ich auch gar nicht wollen. Ich meine: Ein Schurke, der einfach nur böse ist? Das ist doch einfach ein langweiliger Job. Ich versuche, ehrlich zu sein, deshalb interessieren mich jene Menschen am meisten, die auch an einer komischen Situation die traurige Dimension erkennen. Komödie und Drama sind gar nicht so verschieden, denn das Leben bewegt sich in jedem einzelnen Moment hin und her.