Isle of Dogs

Wes Anderson, USA, Deutschland, 2018o

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Der Bürgermeister der fiktiven japanischen Stadt Megasaki beschliesst, alle Hunde auf eine abfallverpestete Insel zu schaffen unter dem Vorwand, sie seien verseucht. Die Tiere schliessen sich daraufhin mit dem Sohn des Bürgermeisters zusammen.

Wer einen Film von Anderson schaut, erwartet eine perfekte Farbregie, ein exzentrisches Drehbuch und eine Verzauberung. Das gelingt dem Regisseur auch in seinem zweiten Trickfilm nach «Fantastic Mr. Fox», obwohl «Isle of Dogs» in der zweiten Hälfte einige Durchhänger hat. Anderson hat es fertiggebracht, einen innigen Film zu drehen, der trotzdem nie der Sentimentalität verfällt.

Jean-Martin Büttner

Im Japan der nahen Zukunft macht sich eine gefährliche Ideologie breit: Hundefeindlichkeit. Ein Virus ist nur der Vorwand für den Bürgermeister von Megasaki, sämtliche Köter auf eine postapokalyptische Müllinsel im Meer zu verbannen. Hier geht es ums Überleben, Streuner und Luxuspinscher müssen sich zusammenraufen und dem Jungen Atari helfen, seinen besten vierbeinigen Freund wiederzufinden. Wes Andersons Puppenstuben-Welt, im Stop-Motion-Verfahren animiert, lebt von seinem einzigartigen, spleenigen Humor, der auch unter Hunden nie langweilig wird.

Tobias Kniebe

Galerieo

01.06.2018
© Alle Rechte vorbehalten Süddeutsche Zeitung. Zur Verfügung gestellt von Süddeutsche Zeitung Archiv
15.02.2018
© Alle Rechte vorbehalten Frankfurter Allgemeine Zeitung. Zur Verfügung gestellt von Frankfurter Allgemeine Zeitung Archiv
Tages-Anzeiger, 02.05.2018
In Wes Andersons neuem Trickfilm werden Hunde entsorgt

Mit «Isle of Dogs» hat sich der Kultregisseur in ein neues Genre gewagt. Er sei selber überrascht, wie düster das Ergebnis ausfiel, sagt der Regisseur im Gespräch.

Von Jean-Martin Büttner

Seine Filme handeln von Schönheit, Sehnsucht nach Harmonie und Trauer. Das Schöne durchdringt die Filme selbst. Jede Einstellung sieht aus wie ein Gemälde, so vollendet sind die Farben aufeinander abgestimmt. Jedes Kleid, jedes Haus, jede Tür, jedes Bild im Haus, jedes Foulard, jeder Anzug, jede Frisur, jedes Auto, jedes Augenpaar passt zu allem anderen, das die jeweilige Szene zeigt.

Auch ist Wes Anderson besessen von der Symmetrie, es kommt einem vor, als wolle er in seinen Filmen eine Ordnung herstellen, die er anderswo nicht finden kann. Er hat seine märchenhafte, barock schillernde Ästhetik im Lauf seiner Karriere und seiner neun Filme dermassen perfektioniert, dass man seinen Stil sofort erkennt, sogar wenn er einen Werbespot dreht für H & M.

Die Trauer ergibt sich bei ihm aus der Sehnsucht nach Harmonie; am häufigsten geht es in seinen Filmen um Familien oder Freunde, deren Gemeinschaft bedroht wird. Da sind die drei Kinder der Familie Tenenbaum, die von der Scheidung ihrer Eltern traumatisiert sind («The Royal Tenenbaums» von 2001, der Anderson berühmt machte). Da ist der Hotelier Gustave in «The Grand Budapest Hotel», der die Zukunft und damit auch sein geliebtes Hotel so haben möchte, wie er die Vergangen­-heit erlebt hat. Da sind die beiden Kinder in «Moonrise Kingdom», Andersons schönstem Film, die zusammenkommen und lange daran gehindert werden, zusammenzubleiben. Da ist der Fuchs im Trickfilm «Fantastic Mr. Fox», der bei reichen Bauern für seine Familie Essen stiehlt und deshalb von ihnen verfolgt wird.

Nichts Flauschiges, Herziges

Andersons Eltern trennten sich, als er neun Jahre alt. Die Scheidung habe ihn tief getroffen, sagte er einmal. Ist sie der Grund, warum Familien bei ihm so oft bedroht sind? Der Regisseur, aus Berlin mit dem Nachtzug nach Zürich gereist, empfängt im Schweizerhof, dem Hotel am Hauptbahnhof. Und er sagt: «Ich bin mir sicher, dass wir immer, wenn wir eine Szene drehen oder an einer Figur arbeiten, etwas von unseren Familien übernehmen. Es gibt viel Dramatisches in einer Familie, an dem man sich ins­pirieren kann.»

Es gibt so viel Schönheit und Trauer in seinen Filmen, heilt denn die eine die andere? «Fast möchte ich sagen, dass die Schönheit manchmal in der Trauer liegt. Die beiden vermischen sich. Oft ist die schönste Sache die traurigste. Das ist auch bei meinem neuen Film so.»

Er hat recht. Obwohl er mit «Isle of Dogs» einen Trickfilm gedreht hat, der von Hunden erzählt, seinen Lieblingstieren, hat der Film nichts Flauschiges oder Herziges an sich, sondern ist ausgesprochen düster geraten. Wie immer hat er jede Figur und jeden Hintergrund und alle Details in der ihm eigenen Ästhetik inszeniert, wie stets sah das Drehbuch viele humorvolle Szenen vor, aber fröhlich ist es nicht geraten.

Die Geschichte spielt in der fiktiven japanischen Grossstadt Megasaki, deren Bürgermeister alle Hunde auf eine abfallverseuchte, schrottverstellte Insel ausschaffen lässt unter dem Vorwand, sie seien krank und für Menschen gefährlich. Atari, der Sohn des Bürgermeisters, fliegt auf die Insel, um seinen Hund zu suchen. Gemeinsam müssen die Tiere und der Bub Gefahren überstehen und Hilfe bekommen, bis sie am Ende wieder heimkönnen.

Wie schon bei seinem «Fox»-Film arbeiteten Anderson und seine Crew mit der Technik des Stop-Motion, das heisst die Figuren werden von Hand bewegt und nicht gezeichnet oder am Computer erzeugt. Der immense Aufwand beim Drehen wird durch eine plastische, organisch wirkende Darstellung belohnt. Anderson hat «Isle of Dogs» mit dem Regisseur Roman Coppola und dem Schauspieler Jason Schwartzman entwickelt, mit denen er seit Jahren zusammenarbeitet. Sie seien selber überrascht gewesen, sagt Anderson, wie düster der Film herausgekommen sei.

«Er ist dunkler herausgekommen, als wir erwartet hatten. Wir wussten, dass das Terrain düster aussehen würde, schliesslich spielt der Film auf einer Insel voller Müll, auf der die Hunde ausgesetzt werden. Aber je länger wir am Drehbuch arbeiteten, desto mehr stellten sich Szenen, die wir lustig fanden, als schrecklich heraus. Zum Beispiel erzählt einer der Hunde, ein Freund von ihm habe sich an seiner eigenen Leine erhängt. Der Film handelt ja von Ausgesetzten, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, also wurde er immer düsterer. Irgendwann sahen wir die Hunde nicht mehr als Tiere, sondern als Menschen.»

Eine Hommage an Japans Film

Dass der Film in einer japanischen Stadt spielt und die Hunde Englisch sprechen lässt, die Menschen aber Japanisch, und dies ohne Untertitel, hat zu reden gegeben. Er habe eben gewollt, sagt der Regisseur, dass die Zuschauer dem Klang der Sprache zuhören, statt sie mit Untertiteln abzulenken. Anderson versteht seinen Film als Hommage an die japanische Filmtradition und hat mehrere Anspielungen auf Regisseure wie Akira Kurosawa eingebaut.

Einige Kritiker haben dem Ameri­kaner vorgeworfen, er zeige ein klischiertes Japan mit Sumokämpfern, Kirschblüten, Haikus und stereotyp dargestellten Japanern, ohne sich wirklich für die fremde Kultur zu interessieren. Dabei hat Anderson nie verhehlt, dass er einen Blick von aussen auf das Land wirft. Der Texaner, der seit Jahren in Paris lebt, vergleicht «Isle of Dogs» mit dem europäischen Blick von Wim Wenders auf die USA.

Wie hat man denn in Japan auf den Film reagiert? Anderson antwortet: «Alle, die ihn schon gesehen haben, sagen Gutes darüber. Sie sagen auch, es sei für sie interessant zu sehen, wie viele Dinge ich aus ihrer Kultur übernommen habe, die ihnen vertraut sind, damit aber etwas mache, was Japaner nicht tun würden. Sie finden es lustig, dass ein Fremder auf diese Weise mit Japan spielt.»

«Isle of Dogs» ist spektakulär schön gedreht, die Liebe zum Detail geht bis in die zerrauften Hundepelze, die unterschiedlichen Charaktere der Hunde machen sie alle interessant und ihre Konflikte glaubhaft. Der Film überzeugt in weiten Teilen, auch wenn er in der zweiten Hälfte einige Male durchhängt, weil sich der Regisseur in einem Subplot verliert. Aber das bleibt Kritik auf einem hohen Niveau, zumal Anderson sich wie immer auf herausragende Schauspieler verlassen kann, die zum Teil seit Jahren mit ihm arbeiten und den Hunden ihre Stimme geben: Jeff Goldblum, Bill Murray, Edward Norton, Tilda Swinton und andere.

Mit den Hunden kommt natürlich alles gut, wie es sich für einen solchen Film gehört. Trotzdem bleibt das Ende ambivalent: Die Tiere dürfen zu ihren Menschen zurück, ihre Befreiung führt sie in die bekannte Abhängigkeit zurück.

Anderson differenziert: «Sie werden wieder in die Gesellschaft integriert, aber sie haben ja dazugehört. Und überhaupt: In welcher Gesellschaft leben schon alle in Freiheit? Ausserdem haben die Hunde ihre Besitzer ja nicht frei­willig verlassen. Und ihre Besitzer sind auch für sie Familie.»

Exzentrische Figuren

Wer Wes Andersons Filme sieht, ihre Farbenpracht und seine Detailtreue, die exzentrischen Figuren, das Märchenhafte, immer wieder anders inszeniert, aber trotzdem so gedreht, wie nur er es kann – der fragt sich unweigerlich, ob er eine bestimmte ästhetische Vorstellung im Kopf hat, wenn er einen neuen Film plant.

«Ich denke nie über meine Ästhetik nach. In keinem Moment. Das Einzige, was mich beschäftigt, ist die Frage, ob ich mich wiederhole. Ich will je­den neuen Film anders machen als alle zuvor.»

Aber gleich gut.

© Alle Rechte vorbehalten Tages-Anzeiger. Zur Verfügung gestellt von Tages-Anzeiger Archiv
Anderson explains a scene
Wes Anderson / The New York Times
en / 29.03.2018 / 2‘53‘‘

Cast interview
/ FoxSearchlight
en / 29.03.2018 / 5‘13‘‘

Making of: the puppets
/ FoxSearchlight
en / 29.03.2018 / 4‘00‘‘

Review
Mark Kermode / kermodeandmayo
en / 29.03.2018 / 7‘39‘‘

Filmdateno

Synchrontitel
Isle of Dogs – Ataris Reise DE
L'Île aux chiens FR
Genre
Animation, Komödie, Abenteuer
Länge
101 Min.
Originalsprachen
Englisch, Japanisch
Bewertungen
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ØIhre Bewertung7.8/10
IMDB-User:
7.8 (189714)
Cinefile-User:
< 10 Stimmen
KritikerInnen:
< 3 Stimmen

Cast & Crewo

Bryan CranstonChief (voice)
Koyu RankinAtari Kobayashi (voice)
Edward NortonRex (voice)
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Bonuso

iGefilmt
Anderson explains a scene
The New York Times, en , 2‘53‘‘
s
Cast interview
FoxSearchlight, en , 5‘13‘‘
s
Making of: the puppets
FoxSearchlight, en , 4‘00‘‘
s
Review
kermodeandmayo, en , 7‘39‘‘
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gGeschrieben
Besprechung Süddeutsche Zeitung
Tobias Kniebe
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Besprechung Frankfurter Allgemeine Zeitung
Verena Leuken
s
Hintergrundbericht und Interview
Tages-Anzeiger / Jean-Martin Büttner
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