Dunkirk

Christopher Nolan, GB, USA, Frankreich, 2017o

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Mai 1940, die Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs: In der französischen Hafenstadt Dünkirchen sind 400.000 britische Soldaten von der deutschen Armee eingekesselt worden. Zwischen den feindlichen Truppen auf der einen Seite und dem Wasser auf der anderen scheint es kein Entkommen zu geben. Während die Männer am Boden ums Überleben kämpfen und RAF-Piloten in ihren Spitfires für Feuerschutz aus der Luft sorgen, eilen britische Zivilisten mit ihren kleinen Booten über den Ärmelkanal zu Hilfe.

Krieg als Roulettespiel des Schicksals, bei dem man in der ersten Runde gewinnen und in der nächsten schon sterben kann, und selbst Feiglingen unerwartete Gnade widerfährt. Christopher Nolan zeigt die Militäroperation von Dünkirchen im Zweiten Weltkrieg, bei der 400 000 britische Soldaten vor den heranrückenden Deutschen gerettet werden mussten. Ganz auf Strandhöhe, Wellenhöhe, Bughöhe, aus Sicht der Männer im Überlebenskampf. In den Nolan seine Zuschauer mit brillanter, grossteils altmodisch analoger Kinowucht hineinzieht.

Tobias Kniebe

Loin des odyssées spatiales aux ressorts abracadabrantesques ou des sagas superhéroïques encombrées par leur mythologie, Christopher Nolan trouve dans ce matériau historique l’occasion de livrer son film le plus précis, épuré et intense.

Alexandre Büyükodabas

Galerieo

28.07.2018
© Alle Rechte vorbehalten Frankfurter Allgemeine Zeitung. Zur Verfügung gestellt von Frankfurter Allgemeine Zeitung Archiv
Tages-Anzeiger, 28.07.2018
Flucht aus Europa

Grossbritannien diskutiert über «Dunkirk». Der Film dient Brexit-Befürwortern und -Gegnern als Metapher.

Von David Hesse

Niederlagen sind oft wichtiger für das Selbstverständnis von Nationen als Siege. Sie schwären wie Wunden, halten wach und treiben an, werden beschworen von Warlords und Politikern, verlangen Gedenken für die Toten, Erinnerungsarbeit von den Lebenden, manchmal Rache. Die Schweizer haben verloren in Marignano, die Serben auf dem Amselfeld, beide können auf ihre Art noch nach Jahrhunderten nicht lassen davon. Neosüdstaatler der USA pilgern nach Gettysburg, wo ihre Ahnen fielen, ganz Amerika hadert mit Vietnam.

Auch das Vereinigte Königreich, das fast wie Russland nationalen Zusammenhalt aus dem Sieg über Nazideutschland bezieht, denkt heute öfter über die Flucht von Dünkirchen 1940 nach als über die Befreiung des Kontinents 1945.

Das Trauma, aus dem Kraft geschöpft wurde

Dünkirchen war kein Sieg, eher ein «kolossales militärisches Desaster», wie Kriegspremier Winston Churchill dem Unterhaus einschärfte. Nach dem Fall Frankreichs mussten britische Truppen vom Festland nach Hause fliehen; mehr als 300'000 Soldaten wurden im Mai und Juni 1940 in Booten evakuiert, unter widrigsten Bedingungen und in desolatem Zustand. Es dauerte Monate, bis die Armee wieder einsatzfähig war.

Aber, und das ist entscheidend: Sie überlebte und kam wieder. «Kriege werden nicht durch Evakuierungen gewonnen», sagte Churchill weiter. Dünkirchen war die Keimzelle für den späteren Sieg, das Trauma, aus dem Kraft geschöpft wurde. 1945 kapitulierten die Nazis.

Dieser Tage läuft der Hollywoodfilm «Dunkirk» in den Kinos an. In Grossbritannien wird er seit Wochen diskutiert, meist geht es um die Frage, welche Erkenntnis für die Gegenwart die Zuschauer aus dem Historienfilm ziehen sollen.

Brexit-Befürworter feiern den Film und den Moment, an den er erinnert: Heute stehe wieder eine heroische britische Abkehr vom europäischen Festland an. Europa werde wieder einmal von den Deutschen dominiert. Erneut sehe es für Grossbritannien zunächst finster aus, hoffnungslos – fast wöchentlich erscheinen derzeit neue Prognosen zu den realen und politischen Kosten des EU-Austritts. Doch wieder werde sich das Königreich allein und stolz behaupten, im Geist von Dünkirchen auferstehen.

Wieder diese Deutschen!

Solche Schwärmerei erfasst selbst Profihistoriker. Der konservative, in den USA lehrende Geschichtsprofessor Niall Ferguson schrieb in der «Times» zwar erst vernünftig, der Brexit sei nicht Dünkirchen; ein «bürokratisches Durcheinander» lasse sich nicht vergleichen mit einem militärischen Desaster. Dann aber erliegt Ferguson dem Pathos doch und fängt an, Parallelen zu ziehen. Plagt Europa nicht erneut die «deutsche Vorherrschaft», muss Freiheit nicht verteidigt werden?

Was ihm an Dünkirchen imponiert, ist Churchill, der allen Kapitulationswünschen der britischen Politik widerstand und die Truppen neu aufbaute, sodass er die Nazis gemeinsam mit den Alliierten doch noch besiegen konnte. Dieses Prinzip des Kurshaltens müsse auch beim Brexit gelten: «Es ist nicht die Zeit, es sich noch einmal anders zu überlegen – genauso wenig, wie der Mai 1940 die Zeit für Friedensgespräche war.» Flucht aus Europa, neu gedacht.

Heroisch wie der Brexit

Der Geist von Dünkirchen geht schon seit letztem Jahr um: einsames Britannien, heldenhaftes Britannien. Vor der Abstimmung zum Brexit im Juni 2016 schrieb die konservative Abgeordnete Penny Mordaunt: «Der Geist von Dünkirchen wird uns aufblühen lassen ausserhalb der EU.» 1940 sei Britannien auch «abgeschnitten und verlacht» worden, doch: «Wahre Führungsstärke fühlt sich manchmal einsam an.» Auch der heutige Aussenminister Boris Johnson pries Dünkirchen als lehrreichen britischen Schlüsselmoment.

Etliche Historiker haben darauf hingewiesen, dass eine solche Lesart zu simpel ist. «Die Ereignisse von 1940 stehen nicht nur für ein Scheitern der alliierten Strategie, sondern für die Verknüpftheit der britischen und der europäischen Sicherheit», schreibt etwa Daniel Todman von der Queen-Mary-Universität. Zudem habe Britannien im Krieg nie völlig allein gestanden, polnische Piloten und Geld aus den USA gehabt.

Es ist ein seltener Fall: Weil Dünkirchen weder eindeutig Niederlage noch Triumph ist, dient es Brexit-Befürwortern wie -Gegnern als Metapher. Rafael Behr, Kolumnist des «Guardian», gewinnt folgende Einsicht aus dem Film «Dunkirk»: Wenn ein Plan schiefgehe und Unheil sich abzeichne, sei es besser, «seinen Stolz zu schlucken und umzukehren». Flüchten vor dem eigenen Volksentscheid.

Unheil zieht am Horizont auf – auch weil Britannien sich verändert hat. Will Hutton, der Vorsitzende des Big Innovation Centres, klagt, dass Britanniens Wirtschaft und Technologie 2017 nicht mehr so führend seien wie 1940: «Der Brexit ist das Dünkirchen unserer Generation, aber keine Schiffe kommen zu Hilfe.» Eine Niederlage – aber ohne Sieg danach.

© Alle Rechte vorbehalten Tages-Anzeiger. Zur Verfügung gestellt von Tages-Anzeiger Archiv
The New York Times, 29.07.2018
© Alle Rechte vorbehalten The New York Times. Zur Verfügung gestellt von The New York Times Archiv
Christopher Nolan: The Road to Dunkirk
Debra Minoff/Susannah McCullough / ScreenPrism
en / 17.07.2017 / 13‘03‘‘

Film Club: Dunkirk (Discussion)
A.A. Dowd/Ignatiy Vishnevetsky / The A.V. Club
en / 15.07.2017 / 2‘22‘‘

The Sound Illusion that Makes Dunkirk so Intense
/ Vox
en / 15.07.2017 / 3‘01‘‘

The Evacuation of Dunkirk (Newsreel, 1940)
/ British Pathé
en / 12.04.2014 / 3‘37‘‘

Filmdateno

Synchrontitel
Dunkerque FR
Genre
Kriegsfilm, Historisch, Drama
Länge
107 Min.
Originalsprachen
Englisch, Französisch, Deutsch
Bewertungen
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ØIhre Bewertung7.8/10
IMDB-User:
7.8 (758644)
Cinefile-User:
< 3 Stimmen
KritikerInnen:
< 3 Stimmen

Cast & Crewo

Fionn WhiteheadTommy
Kenneth BranaghCommander Bolton of the Royal Navy
Cillian MurphyShivering Soldier
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Bonuso

iGefilmt
Christopher Nolan: The Road to Dunkirk
ScreenPrism, en , 13‘03‘‘
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Film Club: Dunkirk (Discussion)
The A.V. Club, en , 2‘22‘‘
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The Sound Illusion that Makes Dunkirk so Intense
Vox, en , 3‘01‘‘
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The Evacuation of Dunkirk (Newsreel, 1940)
British Pathé, en , 3‘37‘‘
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gGeschrieben
Besprechung Frankfurter Allgemeine Zeitung
Andreas Kilb
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Wie Grossbritannien über «Dunkirk» diskutiert
Tages-Anzeiger / David Hesse
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Besprechung The New York Times
Manohla Dargis
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