Good Bye, Lenin!
Wolfgang Becker, Deutschland, 2003o
Die gläubige Genossin Christiane liegt nach einem Herzinfarkt im Koma, als die Berliner Mauer fällt. Als sie Monate später erwacht, verschweigt ihr der Sohn schonungsvoll das Ende der DDR. Die Notlüge zwingt ihn zur Wiederherstellung einer Ossi-Scheinidylle aus rezyklierten Klamotten, Gurkengläsern und gefakten Nachrichten. Auch das Unmfeld macht die Scharade fürs Erste mit. Doch wie lange kann das gutgehen?
Die Komik rührt bei Komödien oft daher, dass die Hauptfigur ein unerreichbares Ziel verfolgt: je abwegiger das Vorhaben, desto grösser die Entschlossenheit. In Good Bye, Lenin! setzt sich ein junger Mann in den Kopf, seiner Mutter, die beim Fall der Berliner Mauer im Koma lag, das Ende der DDR zu verschweigen. Die herzkranke Frau ist seit der Westflucht ihres Mannes zur eisern zuversichtlichen Genossin geworden und soll jede Aufregung meiden. Während Ostberlin in rasendem Tempo verwestlicht, schustert der Sohn im Krankenzimmer der Mutter aus rezyklierten Klamotten, Gurkengläsern und Fernsehnachrichten eine Ossi-Scheinidylle zusammen und nötigt auch sein Umfeld zum Mitspielen. Die Scharade hat einen doppelten komödiantischen Effekt. Einerseits wirkt sie als sanft satirische Hommage an die Schrulligkeiten der DDR, ihre tatsächliche Scheinheiligkeit und ihre Bewohner:innen, denen gerade der Boden unter den Füssen weggezogen wird. Andrerseits kehrt sie die irrwitzige Mischung von Grösse und Vergeblichkeit hervor, die just idealistische Bemühungen vielfach kennzeichnet: Natürlich hat die Lüge auch hier kurze Beine, und in der zweiten Filmhälfte verlagern sich die Anstrengungen des Sohnes prompt auf die (ebenso aussichtslose) Wiedervereinigung der Familie mit dem geflüchteten Vater. Wie sich der junge Daniel Brühl in seiner ersten grossen Rolle an diesen Illusionen abmüht, ist ebenso komisch wie rührend. Good Bye, Lenin! bleibt der schönste Film im schmalen Werk des westdeutschen Regisseurs Wolfgang Becker, der am 12. Dezember 70-jährig verstorben ist. Farewell, Wolfgang!
Andreas FurlerWolfgang Becker ist mit seinem Film ein wunderbares Schelmenstück gelungen, und jeder kann sich ausmalen, welch komisches Potential in dieser grotesken Situation steckt. Doch wie bei jeder wirklich guten Komödie ist der Stoff eigentlich zutiefst tragisch. Der Film lässt noch einmal all jene zu Wort kommen, für die die Wende zu spät kam. Menschen wie Christiane, die wirklich an die sozialistische Idee glaubten, und nach der Wende mit leeren Händen da standen. Für andere wieder kam die Wiedervereinigung zu früh: Die Montagsmaschierer haben Freiheit, Leib und Leben sicher nicht für ein Stück Westschokolade riskiert, sondern für das Recht, das eigene Schicksal mitzubestimmen. Wir sind das Volk riefen sie, und mussten dann feststellen, dass auch im Westen Volkes Stimme nur auf dem Wahlschein etwas zählt.
Nani Fux