Des moutons et des hommes
Karim Sayed, Schweiz, 2018o
Algier 2016: Der 16-jährige Schulabbrecher Habib beschliesst, einen Schafbock zu einem Champion in Schafskämpfen zu machen. Der 42-jährige Samir hat keine anderen Träume mehr, als die Schwierigkeiten seines Alltags mit dem Verkauf von Schafen zu mildern. Als ein Fest ansteht, bei dem tradionellerweise ein Schaf geopfert wird, ist dies für Samir eine Geschäftschance, für Habib hingegen eine Schickalsfrage: Endet sein Widder als Champion oder als Opfertier?
Dieser Dokumentarfilm von dem in der Schweiz geboren und lebenden doch aus algerischer Familie stammenden Regisseur Karim Sayad gewann 2018 den Prix de Soleure. Und das wohlverdient, denn er ist auf mehreren Ebenen bemerkenswert und eindringlich. Was er uns schildert, ist nichts Dramatisches oder Weltbewegendes: In einem ärmlichen Aussenquartier vom Algier, auf Sichtdistanz zum Mittelmeer wohnen Menschen und Schafe, letztere sogar in Wohnungen oder auf Dächern. Die Tiere werden wegen der Wolle und des Fleisches gehalten, die Böcke mit ihren mächtigen Hörnern jedoch vor allem, um mit ihnen Kämpfe auszutragen. Ein Sieg bringt den Besitzern zwar keinen Reichtum, dafür aber Stolz und Ansehen. Der intime, nie voyeuristische Blick leistet das, was ein guter Dokumentarfilm leisten kann: Die beobachtete Welt ist für uns Zuschauer:innen aussergewöhnlich und spannend, während zugleich klar wird, wie selbstverständlich sie für die Porträtierten ist. Zu dieser Selbsverständlichkeit zählt auch, dass das moderne Leben – die jungen Männer drehen beispielsweise kleine Clips mit ihren Böcken für Social media oder tragen meistens Musikstöpsel in den Ohren – und das traditionelle, teils archaische unverdächtig verschmelzen. Folgerichtig sind im Titel dieser Gesellschaftsstudie die "Hommes" denn auch nicht Menschen im Allgemeinen, sondern ausschliesslich Männer und Knaben: In jedem Moment wird klar, wie die Tierkämpfe auch Ersatz für sentimentale, sexuelle und ökonomische Defizite sind.
Till Brockmann