Les barbares
Julie Delpy, Frankreich, 2024o
In Paimpont herrscht Harmonie: Zu den Einwohnern gehören Joëlle, die Lehrerin, die immer alles besser weiss, Anne, die Besitzerin des Supermarkts, die gerne einen Aperitif trinkt, Hervé, der elsässische Klempner, der bretonischer ist als die Bretonen, und Johnny, der Parkwächter, der ein Fan von ... Johnny ist. In einem grossen Anfall von Solidarität erklären sie sich begeistert bereit, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen. Nur sind die Flüchtlinge, die an Land gehen, keine Ukrainer, sondern Syrer! Und einige in diesem charmanten kleinen bretonischen Dorf sehen die Ankunft ihrer neuen Nachbarn nicht sehr positiv. Wer sind also letztendlich die Barbaren?
Die neue Komödie der französischen Schauspielerin und Regisseurin July Delpy ist eine sanfte Satire auf die Einwohner:innen eines bretonischen Dorfes, dem statt der erwarteten ukraininischen eine syrische Flüchtlingsfamilie zugeteilt wird. Der erste witzige Clou dabei: Die Nachfrage nach den Ukrainern war einfach zu gross. Der zweite: Man gibt sich, bis auf ein paar klischeehaft gezeichnete offen rassistische Querschläger, selbstverständlich auch den muslimischen Flüchtlingen aus dem arabischen Raum gegenüber offen und verbirgt die Vorurteile und die Befangenheit krampfhaft, was zu kleinen Fehlhandlungen und sprachlichen Lapsi am Laufmeter führt. Delpy selbst gibt in der Rolle einer engagierten Lehrerin die beflissenste dieser wild entschlossenen Antirassist:innen und räumt die besten Pointen ab, wenn sie ihrer Klasse das ABC der Weltoffenheit eintrichtert. Sandrine Kiberlain ist als ihre beste Freundin, heimliche Alkoholikerin und Frau des pingligen Lebensmittelhändlers leicht unterbeschäftigt, bekommt aber auch eine Paradeszene, wenn sie mit Tirade und Blutwurst auf ihren treulosen Mann und seine Geliebte losgeht. Insgesamt bleibt die Komik jedoch bewusst verhalten, einerseits weil Delpy der syrischen Familie, ihrer Sichtweise und ihrem Kriegstrauma, das keine Komik verträgt, auch breiten Raum gibt, andererseits, weil sie die Französ:innen, anders als es der deftige Titel suggeriert, keinesweg als Barbaren zeichnet, sondern als Leute aus eine kleinen Welt, die sich mit der Öffnung zu einer grösseren schwertun. Der klassenkämpferische Biss eines Ken Loach, der in The Old Oak die gleiche Konstellation in einem britischen Bergarbeiterdorf zeigte, geht der Französin gänzlich ab, umso grösser dafür die Einfühlung in ihre leicht überforderten, aber ehrlich bemühten Landsleute. Les barbares könnte auch im Vallée de Joux oder in einem thurgauischen Bauerndorf spielen. Die Verhältnisse wären nicht wesentlich anders.
Andreas Furler