L’abbé Pierre
Frédéric Tellier, Frankreich, 2023o
Henri Grouès stammte aus einer bürgerlichen Familie und war zugleich Widerstandskämpfer, Abgeordneter, Verteidiger der Obdachlosen, Revolutionär und Ikonoklast. Von den Bänken der Nationalversammlung bis in die Slums der Pariser Vorstädte brachte ihm sein Einsatz für die Schwächsten internationalen Ruhm ein. Er schrieb Geschichte unter dem Namen, den er sich selbst gab: Abbé Pierre.
Eine Hagiografie des französischen Kapuziner-Priesters Abbé Pierre (1912-2007), dessen Werdegang in gut zwei Stunden nachgezeichnet wird. Als Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg, als Initiator einer Solidaritätsbewegung für Obdachlose und als weltweite Ikone des Kampfes gegen die Armut kannte er in seinem Leben kaum Verschnaufpausen, auch im Film von Frédéric Tellier nicht. Das Biopic lässt die wichtigsten Etappen im Leben des Emmaus-Gründers Revue passieren, wobei fast jeder Szenenwechsel einen Zeitsprung von mehreren Monaten oder Jahren markiert. Statt auf belehrende Dialoge setzt man ganz auf die fulminante Energie von Benjamin Laverne als stürmischem Titelheden. Lucie Coutaz, eine zentrale Figur der Emmaus-Bewegung, spielt in der Erzählung eine wichtige Rolle, bleibt aber in der Rolle der strengen Verwalterin gefangen. Die erstaunliche Eröffnungssequenz zeigt Abbé Pierre beim Erklimmen eines Berges vor einem rot glühenden Himmel, eine apokalyptische Darstellung des Jenseits. In seinem Leben voller Kämpfe war der Tod der erste und der letzte: Als Kind betete er dafür, jung zu sterben, seit seinem Tod sterben die Obdachlosen im Winter noch immer vor Kälte, wie uns der Epilog in Erinnerung ruft.
Emilien Gür