The Quiet Girl
Colm Bairéad, Irland, 2022o
Ein stilles, stark vernachlässigtes Mädchen wird von seiner zerrütteten Familie weggeschickt, um den Sommer bei Verwandten zu leben. Sie blüht in ihrer Obhut auf, aber in diesem Haus, in dem es keine Geheimnisse geben soll, entdeckt sie eines.
Die Kindheit ist im Kino oft eine Zeit der Verletzlichkeit und Einsamkeit. Niemand inszenierte das eindringlicher als Charles Laughton in The Night of the Hunter mit seinen halluzinierenden Bildern eines bösen Stiefvaters, der seine Kinder verfolgt. Nun erinnert der Ire Colm Bairéad daran in seinem schönen Debütfilm The Quiet Girl, der Sommerchronik eines kleinen Mädchens, das von seinem gewalttätigen Vater weg und in die Obhut entfernter Verwandter kommt. Die Gasteltern haben selbst eine schmerzhafte Vergangenheit und dem kleinen Mädchen nichts weiter als ihre Liebe zu bieten. Das Kind ist, wies der Titel verrät, zwar ruhig, doch flink unterwegs. Genau wie der Film: zart, kontrolliert, klug, bisweilen befliessen. Letzteres macht er wett mit wundersamen Abschweifungen, in denen die Welt als ein Reich unentzifferbarer Zeichen erscheint, mit Leerstellen, die wir füllen müssen: Aufnahmen von leblosen Dingen, von ausgedrückten Zigaretten und ihrer Asche während einer Autofahrt, oder einem Stück Himmel, das aus einem Fenster zu erspähen ist. Die Fragmente werden montiert, als seien es Haikus: Die Dinge sind einfach da, warum soll man sie interpretieren? Sie sind schön für sich, opak und etwas einsam wie diese Kindheit. Und eben: trügerisch ruhig.
Emilien Gür