Foudre
Carmen Jaquier, Schweiz, 2022o
Sommer in einem Walliser Bergdorf um 1900. Die 17-jährige Novizin Elisabeth muss nach dem plötzlichen Tod ihrer ältesten Schwester auf den Hof ihrer Familie zurückkehren, um Hand anzulegen. Als sie sich nach den Todesumständen der Schwester erkundigt, stösst sie auf seltsames Schweigen. Elisabeth findet Innocentes Tagebuch, das sich um erste Erfahrungen mit der Sexualität dreht. Gleichzeitig macht sie Bekanntschaft mit drei abseits lebenden Jungen aus dem Dorf, die mit Innocente Kontakt hatten. Die Begegnungen eröffnen ihr eine neue Welt und bringen sie in Konflikt mit jener des Dorfs und der Eltern.
Das Verlangen lässt sich nicht zähmen, und lebt man es aus, ist das eine Befreiung und Freude. Das lehrt uns Foudre, das sensationelle Kinodebüt der Genferin Carmen Jaquier, ohne zu belehren: Schau dir einfach die Bilder an, ohne zu kommentieren. Bilder des Wallis zu Beginn des letzten Jahrhunderts, die gefilmt wurden, als hätte Giovanni Segantini eine Kamera in der Hand gehabt. Bilder einer jungen Frau, die nach dem Tod ihrer älteren Schwester aus dem Kloster austritt, zu ihrer Bauernfamilie heimkehrt und entgegen allen Verboten ihren Körper und diejenigen anderer entdeckt und es geniesst. Der Film folgt ihrem Wunsch nach Wissen und einem selbstbestimmten Leben. Ein Wunsch, den man ihr jedoch in jedem Moment verwehrt. "Man": Das sind die Eltern, die Dorfgemeinschaft und die Kirche. Das Verlangen, das die Filmemacherin ihrer Heldin zugesteht, führt diese auf den Spuren der verstorbenen Schwester zu einer Gruppe verstossener junger Männer und damit in den Wald, auf die höchsten Wiesen der Berge, wohin die Zivilisation mit ihren Normen noch nicht vorgedrungen ist. Denn das Begehren ist wild. So wild wie ein erster Film.
Emilien Gür