La Ligne
Ursula Meier, Frankreich, Belgien, Schweiz, 2022o
Nach einem gewalttätigen Streit mit ihrer Mutter wird die 35-jährige Cholerikerin Margaret mit einer einstweiligen Verfügung belegt: Sie muss vom Haus der Mutter, in dem auch ihre zwanzig Jahre jüngere Halbschwester wohnt und ihre nächstjüngere Schwester mit Mann und Baby regelmässig zu Besuch kommt, mindestens 100 Meter Abstand halten. Die Zwangsgetrennte reagiert auf ihre Art auf die Massnhame: Sie stellt sich täglich just an der blauen Linie auf, die die jüngeste Schwester um das Hause gezogen hat. Weitere Konflikte zwischen ihr und ihrer Mutter sind damit programmiert; bald ist die ganze Familie in den Nervenkrieg verstrickt.
Seit ihrem fabelhaften Debütfilm Home, in dem eine Familie wider alle Vernunft in ihrem Haus an der Autobahn ausharrt, hat uns die Genfer Regisseurin Ursula Meier immer wieder mit Figuren konfrontiert, deren Neurosen bizarre Blüten treiben. La ligne setzt diese Reihe von BürdenträgerInnen fort mit der Geschichte einer längst erwachsenen, aber kindlich rabiaten Tochter, die ihre Mutter bei einem Streit tätlich angreift und dem Elternhaus mitsamt jüngster Schwester fortan nicht näher als 100 Meter kommen darf. Mit gewohnter erzählerischer Konsequenz verfolgt Meier die Logik der Unversöhnlichkeit in diesem gerichtlich domestizierten Konflikt und schafft dabei erneut Bilder, die sich einbrennen. Erscheint die Tochter dabei anfänglich als Furie, so zeigt sich im Lauf der Handlung, dass ihr die Mutter, verkörpert vom notorischen Nervenbündel Valeria Bruni-Tedeschi, in Sachen egomanischer Exzentrik nicht nachsteht. Bei aller filmischen Wucht machen es einem die beiden Figuren nicht ganz leicht, bei diesem destruktiven Grenzgang dabeizubleiben. Als weitaus Erwachsenste im Walliser Familien-Bestiarium erweist sich schliesslich die halbwüchsige Tochter, die mutig und einfallsreich zwischen den Fronten pendelt.
Andreas Furler