Lichtspieler
Hansmartin Siegrist, Schweiz, 2022o
1895 präsentieren die Brüder Lumière ihren Cinématographe, der als Filmkamera und Projektor innert Jahresfrist den ganzen Globus erobert. Am Anfang dieses Siegeszugs steht auch eine schillernde Schweizer Gestalt: Es ist der Selfmade-Mann und Seifenfabrikant Lavanchy-Clarke, der anlässlich der Landesausstellung von 1896 in Genf die ersten Filmvorführungen der Schweiz organisierte und danach auch als Filmpionier Mediengeschichte schrieb. Der Dokumentarfim Lichtspieler rollt das Leben und die Zeit dieses bislang kaum bekannten Belle-Epoque-Originals mit reichhaltigen, teils verblüffenden historischen Recherchen auf.
Kaum zu fassen, aber wahr. Der Schweizer Unternehmer, Film- und Kinopionier François-Henri Lavenchy-Clarke (1848–1922) war bislang bestenfalls einer Handvoll Spezialisten bekannt. Dabei war dieser Energiebolzen und Kosmopolit von den Ufern des Genfersees nicht nur ein international vernetzter Seifenfabrikant, Wohltäter für Blinde, Freund von Ferdinand Hodler und anderen kulturellen Grössen des Fin de siècle, sondern auch der erste Schweizer Film- und Kinopionier. Kein Jahr nach den Lumière-Brüdern aus dem nahen Lyon organisierte er 1896 die ersten verbürgten Filmvorführungen in der Schweiz, als ambitionierte Fimamateur wurde er zum Chronisten der Jahrhundertwende im grossbürgerlichen Milieu. Der Basler Auftragsfilmer und Medienwissenschaftler Hansmartin Siegrist legt die erste umfassende Würdigung dieses umtriebigen Mitgestalters seiner Zeit vor – und damit, im zarten Alter von 68 Jahren, sein Kinodebüt, das von Hunderten vorangegangener Auftragsfilme und Unterrichtsstunden über die Mediengeschichte profitiert. Siegrists Reichtum an Blickwinkeln, Eindrücken und Einsichten über dieses Raum greifende Leben ist enorm, die filmischen Kabinettstücklein fügen sich mit Chuzpe und Witz zur perlenden Kette mit souverän eingewobenem roten Faden. Kurz: Eine Entdeckung im doppelten Sinn bzw. einer der raren Fälle, in denen ein Debütant gleich ein Meisterstück vorlegt.
Andreas Furler