Last Dance
Delphine Lehericey, Belgien, Schweiz, 2022o
Als der 75jährige Germain von einem Tag auf den andern seine Frau verliert, starten seine Kinder und seine Nachbarin eine Fürsorglichkeits-Offensive, die ihm bald zuviel wird: Anrufe, Besuche und Tupperware-Lieferungen rund um die Uhr ... Kommt hinzu, dass Germain seiner Frau versprochen hat, ihren Part bei einer zeitgenössischen Tanz-Aufführung mit Laien und Profis zu übernehmen, wo ihm als rührig ungelenkem Witwer unversehens die Hauptrolle zugedacht wird. Germain weiss nicht, wie ihm geschieht. Eines aber weiss er: Die Kinder sollen nichts erfahren von seiner neuen Aktivitöt erfahren.
Haben Sie betagte Eltern, für deren Wohl Sie sich mitverantwortlich fühlen, oder umgekehrt: erwachsene Kinder, die jeden Anflug von Alterschwäche bei Ihnen enervierend besorgt verorten? Dann ist der schweizerisch-belgische Überraschungshit Last Dance, der den Publikumspreis von Locarno gewann und in den Schweizer Kinos ohne grosse Werbemaschinerie 50'000 Eintritte verzeichnete, Ihr Film. Er karikiert zum Auftakt so treffend wie maliziös die Fürsorglichkeits-Lawine, die über den 75jährigen Germain nach dem plötzlichen Tod seiner Frau hereinbricht. Die Kinder, die Eltern, die Nachbarin: Alle rufen rund um die Uhr an, bringen «ganz spontan» Tupperwares oder sich selber vorbei und observieren das Objekt ihrer Zuwendung dabei mit Rötgenblick. Kommt hinzu, dass sich Germain verpflichtet glaubt, den Part seiner verstorbenen Frau in einer zeitgenössischen Tanzinszenierung mit Profis und Laien zu übernehmen – wo er verblüfft feststellt, dass ihm die Choreographin für seine mässig motivierten Verrenkungen nicht bloss Hochachtung zollt, sondern auch gleich die Hauptrolle zuteilt. A propos mässig motiviert: Warum Germain seiner Familie seine neue Aktivität partout verheimlicht, bleibt einigermassen schleierhaft, doch die resultierenden Missverständnisse sind komödiantisch ergiebig und zugleich angenehm frei von billigem Frohsinn. Es gibt, so das Fazit, kein Heilmittel gegen das Alter, doch ein vernünftiger sozialer Umgang damit und ein Quäntchen Selbstironie helfen enorm. – Übrigens: Ganz so überraschend kam der Erfolg von Last Dance doch nicht. Seine Regisseurin, die international arbeitende Neuenburgerin Delphine Lehericey, gewann schon mit Ihrem ersten Kinofilm Le milieu de l’horizon (2019) die Schweizer Filmpreise in den Kategorien Drehbuch und bester Spielfilm.
Andreas Furler