Das Mädchen und die Spinne
Ramon Zürcher, Silvan Zürcher, Schweiz, 2021o
Lisa zieht aus, Mara bleibt zurück. Während Kisten transportiert, Wände geweisst und Schränke aufgebaut werden, tun sich Abgründe auf, lassen Sehnsüchte den Raum anschwellen und ein Begehrenskarussell nimmt allmählich Fahrt auf.
Zärtlichkeit und Besessenheit sind die Nährstoffe des Kino der Brüder Ramon und Silvan Zürcher. Zärtlichkeit für ihre Figuren, ihre Einsamkeit, ihren Wahnsinn. Besessenheit für Präzision, millimetergenaue Kadrierung, minutiöse Choreografie. Daraus gehen eigenartige Kammerspiele mit sanfter Melancholie und grausamer Ironie hervor. Den kürzlichen Kinostart ihres neuen Films Der Spatz im Kamin ergänzen wir im Streaming desto lieber um ihren vorherigen Spielfilm Das Mädchen und die Spinne, ein Mikro-Melodram, das sich um einen Umzug dreht. Lisa zieht aus ihrer Wohnung aus, ihre Mitbewohnerin Mara bleibt. Um dieses zerrüttete Gespann herum entwickelt sich ein kleiner Kosmos von Figuren zwischen den beiden Wohnungen: der Mitbewohner Markus, Lisas Mutter, die zur Hilfe kommt, ihre neuen und alten Nachbarn, die Umzugshelfer:innen, Freund:innen, die zur Abschiedsparty eingeladen sind. Aus ihren Interaktionen komponiert das Schweizer Regie-Duo einen Walzer der Einsamkeit und des Begehrens, der durch ein musikalisches Leitmotiv und die Wiederholung von menschenentleerten Szenerien rhythmisiert wird – wohltuende Atempausen in einem ansonsten mit Figuren gesättigten Film. Mara, das Gravitationszentrum der Choreografie, verströmt Grausamkeit und Bitterkeit und kann ihre Verletzung durch den Weggang ihrer Mitbewohnerin hinter diesem Schutzschild nur schwer verbergen. Sie ist eine der liebenswertesten Figuren, die man in letzter Zeit im Kino gesehen hat: ein Sinnbild für die berückende Verschmelzung von Zärtlichkeit und Besessenheit im Kino der Zürcher-Brüder.
Émilien Gür