Le mani sulla città
Francesco Rosi, Italien, Frankreich, 1963o
Der Spekulant und Inhaber einer großen Baufirma Edoardo Nottola erklärt dem Bürgermeister Neapels, Maglione, die Vorteile neuer Landerschliessung am Rand der Stadt. Billiges Ackerland wird durch den Beschluss des Stadtrats zu teurem Bauland. Das bedeutet große Gewinne für die Beteiligten, die man als Wohltaten für die Bevölkerung verkaufen kann, da diese neue, moderne Häuser bekommt.
Der gelernte Jurist Francesco Rosi (1922-2015) gehörte ab den frühen 1960er Jahren zu den Bannerträgern eines politischen Kinos, das weniger auf einzelne Figuren als auf Institutionen und deren Machenschaften zur Akkumulierung von Geld und Macht fokussierte. Dabei verwob Rosi Fiktion und Realität virtuos, erste Paradebeispiele sind das sizilianische Banditenepos Salvatore Giuliano (1962) und das Wirtschaftsdrama Le mani sulla città, das die Verflechtung der Politik mit der Baumafia in Rosis Heimatstadt Neapel anprangert und 1963 den Goldenen Löwen von Venedig gewann. Im Zentrum des Films steht der Bauunternehmer, Bodenspekulant und Parlamentarier Nottola (Rod Steiger), der sich zum stellvertretenden Bürgermeister wählen lassen will, obschon er nach dem Einsturz einer Mietskaserne gerade einen Skandal am Hals hat und von der Linken erbittert bekämpft wird. Konträr zu gängigen psychologischen Dramen klammert Rosi Nottolas Persönlichkeit und Privatgeschichte weitgehend aus, um sich ganz auf das Gemauschel, die theatralischen Debatten und die Aufteilung von Pfründen zwischen Parteiführern, Parlamentariern und Wirtschaftsbossen zu konzentrieren, die teils von realen Politikern gespielt werden – die rein männliche Form ist hier absolut angebracht. Als die grossen Verlierer:innen des Polit- und Wirtschaftspokers zeigt Rosi die einfachen Leute, die von den Mächtigen manipuliert, evakuiert und in jene namenlosen neuen Blöcke verfrachtet werden, die sich schon in der Eröffnungssequenz endlos über die Hügel Neapels erstrecken. Überhaupt die Kamera des früh verstorbenen Gianni Di Venanzo, der auch Antonionis L’eclisse und Fellinis Otto e mezzo mit Kabinettstücken spickte: unvergesslich der Einsturz des Hauses und der Aufruhr in den Gassen Neapels, beissend sarkastisch der Moment, in dem die Parlamentarier der Rechten alle demonstrativ ihre sauberen Hände hochstrecken. Le mani sulla città zeigt, wie Italien wurde, was es ist: eine grosse Oper am Rande des Abgrunds.
Andreas Furler