Undine
Christian Petzold, Deutschland, 2020o
Christian Petzolds Neuschreibung des romantischen Märchens von der Wasserfrau, die töten muss, wenn sie verlassen wird: Undine macht als Berliner Historikerin Führungen zur Stadtgeschichte und wir von ihrem Freund verlassen. Statt sich zu rächen und ins Wasser zurückzukehren, findet sie eine innige neue Liebe in der Person eines Industrietauchers, der sie genauso bedingungslos annimmt wie sie ihn. Als das Schicksal die beiden auseinanderreisst, steht Undine vor der Wahl: Folgt sie ihrer Bestimmung oder kann sie sich abermals neu erfinden?
Der Berliner Christian Petzold ist ein kühner Konstrukteur raffinierter Geschichten, die sich mehrheitlich um die Liebe und paradox verstrickte Männer und Frauen drehen. Manchmal resultiert sein Kunstwille in angestrengter Abstraktion, doch wo Petzold reüssiert, schafft er wundsame Welten zwischen Realität und Traum. Undine ist vielleicht sein schönster Grenzgang bis anhin. Der Autor und Regisseur wagt sich aufs mythologisch reiche Terrain der Wasserfrauen, die manchmal als fatale Verführerinnen auftreten wie die Sirenen, im Fall des Undine-Märchens aber als Tod bringende Rächerin männlicher Untreue. Ingeborg Bachmann hat diese Figur 1959 zur grossen Absage an manipulative Männer und zur feministischen Ikone umgedeutet, das Terrain ist also mehrfach besetzt. Doch Petzold gelingt mit seiner erneuten Umschreibung eine buchstäblich bezaubernde weitere Variante. Seine Undine ist eine Berliner Stadthistorikerin, die anfangs schnöde verlassen wird, in einer neuen Liebe zu einem Industrietaucher aber bedingungslose gegenseitige Hingabe findet. Paula Beer vibriert als diese Frau in der Enttäuschung und in der Erfülltheit vor Gefühl und bleibt mimisch doch jederzeit kontrolliert. Franz Rogowski erwidert ihre Innigkeit mit ebenbürtiger schauspielerischer Bravour. Natürlich spielt das Schicksal den beiden dann Streiche, doch Petzold und sein exzellenter Kameramann steuern die vertrackte Romanze souverän ihrem verblüffenden Schluss entgegen, wo Petzold Undines fatale Bestimmung mit einer einzigen stummen Geste ad acta legt. Ein hinreissender Liebesfilm, von der Bach-Leitmusik ganz zu schweigen.
Andreas FurlerWie die Antriebskräfte eines Künstlerlebens mit den Jahren immer sichtbarer werden: Christian Petzold, daran gibt es kaum einen Zweifel mehr, ist der grösste Romantiker des deutschen Kinos. Hier geht er in die Mythologie um den Wassergeist Undine zurück, um von der schicksalhaften Verbindung zweier Liebender zu erzählen, von Hingabe, Aufopferung, Untreue und Verrat. Das funktioniert selbst im urbanen Berlin und in Unterwasserszenen aus dem Arbeitsleben eines Industrietauchers. Vor allem aber lässt es die Schauspieler leuchten: den herzergreifenden Franz Rogowski und die alles überstrahlende, mit dem Goldenen Bären gefeierte Paula Beer.
Tobias KniebeAuch wenn vieles an Undine an frühere Arbeiten des Regisseurs Christian Petzold anschließt – das Gespensterhafte, die Unbehaustheit der Figuren, die sich durch die Gegenwart arbeitenden historischen Bruchlinien – ist eine so unverstellte und arglose Liebe im Petzold-Universum doch ziemlich neu. Die Frauenfiguren seiner Filme, so autonom und handlungsfähig sie auch immer angelegt waren, schienen ja meist durch einen männlichen, projektiven Blick vermittelt. Stets war die Liebe durch systemische oder andere Zwänge kontaminiert. Hier aber hat man es erstmals mit einem Paar zu tun, das sich in der Begegnung auch tatsächlich meint (und nicht die Rettung, die Ausflucht, einen Zweck). [… ] Paula Beer, die noch in Transit etwas ätherisch durch den Film huschte, gibt ihrer Figur etwas sehr Greifbares, ganz und gar Unwässeriges. Und die physische Präsenz von Franz Rogowski ist so zugewandt und zärtlich und fern aller Herrschaftsmechanismen, die sich sonst in fast jedes Körperspiel einschleichen.
Esther BussAvec Ondine, Christian Petzold s’empare d’une célèbre légende d’outre-Rhin afin de dresser le portrait inédit d’un amour enflammé. Avec Paula Beer, primée pour son rôle au festival de Berlin, et l’envoûtant Franz Rogowski. L’ensemble de ce film tient du véritable raffinement.
Olivier Bombarda