The King's Speech
Tom Hooper, GB, 2010o
Als Sohn des britischen Königs George V. gehört es zu Berties Pflichten, öffentlich zu sprechen. Für den zurückhaltend-besonnenen Mann eine Qual, denn seit seiner Jugend leidet er an einem schweren Stottern. Abhilfe soll der exzentrische Sprachtherapeut Lionel Logue schaffen. Als Bertie 1936 unerwartet zu Englands neuem König wird, ist es unvermeidlich, sich der Öffentlichkeit zu stellen. Zwar machen Bertie und Lionel Fortschritte, aber eine Enthüllung kurz vor der Krönung stellt das gegenseitige Vertrauen auf die Probe.
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Colin Firth als stotternder Monarch und Geoffrey Rush als sein eigenwilliger Sprachlehrer brillieren in «The King’s Speech», dem diesjährigen Oscar-Favoriten.
Er tritt vor das Mikrofon, das ihn übergross anschaut. Die Untertanen stehen auf, das Wembley-Stadion schweigt. Der Herzog soll eine Grussbotschaft seines Vaters verlesen, des Königs von England, Schlussworte zur ersten grossen Ausstellung des Britischen Empires. Die BBC überträgt aus London bis nach Kanada, Kenia, Jamaika, Indien und Australien. Das Radiolicht blinkt, der Äther rauscht. Doch der Redner schweigt mit offenem Mund. Dann quält er sich durch die Silben, bleibt an den Konsonanten hängen, sein Stottern kommt als Echo im Stakkato zurück. Drei Minuten vergehen, der Herzog bringt keinen einzigen Satz zustande. Die Untertanen schauen zu Boden.
Mit der ersten und gescheiterten Radiorede von Herzog Albert Frederick Arthur George, gehalten am 31. Oktober 1925 in London, setzt «The King’s Speech» ein, das Historiendrama des britischen Regisseurs Tom Hooper. Der Film dürfte mit Oscars reich behängt werden, hat in England patriotische Schübe und in den ehemaligen Kolonien Begeisterung ausgelöst. Er beschreibt die Demütigungen eines adligen Stotterers, der nichts so sehr hasste wie öffentliche Auftritte und trotzdem König wurde. Nicht weil er wollte, sondern weil er musste: Sein älterer Bruder David (als König Edward VIII.) dankte nach einem Jahr ab, um eine zweifach geschiedene Amerikanerin zu heiraten.
Redendes Versagen
Zwei Stunden und 14 Jahre nach der ersten Rede des Herzogs klingt der Film mit der ersten Kriegsrede des Königs aus, der Beschwörung britischer Tugenden nach dem Einfall deutscher Truppen in Polen. Auch diesmal braucht George VI. fast eine halbe Minute, bis ihm das erste Wort entweicht. Aber dann bricht er nicht mehr ab: Er hat seine Sprache und damit seine Stimme gefunden.
Tom Hooper hat mit der Fernsehserie «John Adams» über den zweiten amerikanischen Präsidenten sein Interesse an der Verbindung von Sprache und Macht dokumentiert. Und auch sein Talent, historische Stoffe mitreissend zu inszenieren. John Adams aber, der amerikanische Advokat, war ein brillanter Redner, während Herzog Albert vor Publikum redend versagte. «Ich werde als König Georg der Stotterer in die Geschichte eingehen», sagt er im Film einmal, der schon als Kind von seinem Vater terrorisiert, den Geschwistern gehänselt und von kalten Ammen grossgezogen wurde. Der ein schlechter Schüler blieb und ein unauffälliger Marineoffizier, oft krank, schweigsam und scheu, von jähen Wutanfällen geschüttelt. Bis er dann, damals dreissig Jahre alt, einen ungewöhnlichen Untertanen kennen lernte: den Australier Lionel Logue, einen Rhetoriklehrer und Sprachtherapeuten, einen Autodidakten mit unkonventionellen Methoden.
Singen und fluchen
Diese angespannte Beziehung zweier Männer, die sich auch im richtigen Leben zur Freundschaft vertiefte, macht den Film so stark. Hooper inszeniert die Begegnung als Kammerspiel der Unvereinbaren. Mit einem Königssohn, der nicht reden kann. Und dem Sohn eines Buchhalters, der sich nicht dreinreden lässt. Mit einem Monarchen, der Schwächen zeigen muss. Und einem Lehrer, der ihn gleich behandelt wie alle anderen Schüler auch.
Dazu muss der Lehrer Respekt einfordern. So besteht er darauf, dass die Therapie in der Praxis stattfindet und nicht im Palast. Dass die beiden einander beim Vornamen nennen: Lionel und Bertie. Dass Bertie von sich erzählen muss, obwohl er das noch nie getan hat. Und dass für Lionel keine Übung zu töricht ist, um nicht ausprobiert zu werden: das Deklamieren am offenen Fenster, das Aufsagen von Zungenbrechern, das laute Singen, das Fluchen sogar. Über achtzigmal, das ist historisch verbürgt, hat der angehende König seinen eigenwilligen Lehrer getroffen.
Der verstockte Brite
Was die beiden Figuren eint, ist das herausragende Spiel der Schauspieler. Colin Firth und Geoffrey Rush nehmen ihre Rollen nicht ein, sie leben sie aus. Firth hat sich ja, seit seinem Auftritt als Mr. Darcy in der BBC-Verfilmung von «Pride and Prejudice», als Verkörperung des verstockten Briten überall empfohlen. Selbst wenn er bei Komödien wie «Bridget Jones» mitmacht und in «Fever Pitch» zum Beispiel einen unrettbaren Arsenal-Fan spielt, bleibt seine Mimik karg und der Ausdruck im Gesamten unfroh.
Noch nie aber hat Colin Firth die Regungen seiner Figur so brillant dargestellt wie hier. Er zeigt die Scheu, die Scham, die Qual, die jäh explodierende Wut, die gestauten Gefühle des angehenden Königs, seinen Selbsthass und auch seine Selbstironie. Er zeigt das mit einem Minimum an Mimik, einem Maximum an Ausdruck und ohne jede Sentimentalität.
Geschichte, zurechtgerückt
Genauso überzeugend, wenn auch mit gegenteiligen Ausdrucksmitteln, gibt Geoffrey Rush den Sprachlehrer Lionel Logue. Er spielt den australischen Autodidakten so, wie ihn Zeitgenossen beschrieben und Patienten erlebt haben. Als unkonventionellen, aber selbstbewussten Lehrer, der Autorität mit Herzlichkeit und Humor vereint; als Therapeuten auch, der stotternden Menschen konsequent das Gefühl vermittelte, dass nur sie selber sich helfen konnten und sie es auch schaffen würden.
Wunderbar besetzt sind auch die Nebenrollen. Allen voran der unvergleichliche Michael Gambon als cholerischer Königsvater sowie Helena Bonham Carter und Jennifer Ehle als Gattinnen von Albert respektive Lionel.
Der geläuterte Monarch
Nur Timothy Spall reduziert seinen Winston Churchill zur Karikatur. Was insofern eine gewisse Logik hat, als Churchills Rolle im Film nichts mit den historischen Vorgängen zu tun hat. In Wahrheit traute der König Churchill lange nicht und dafür Churchills Vorgänger Neville Chamberlain viel zu lange, der noch 1938 auf eine Besänftigung Hitlers gesetzt hatte. Die Beziehung zwischen Churchill und dem König intensivierte sich erst während des Krieges. Zudem verharmlost der Film die offenen Sympathien, die Alberts Bruder David für die Nationalsozialisten hegte.
Schliesslich gestaltete sich Alberts Beziehung zu seinem Sprachlehrer einiges förmlicher, als der Film glauben macht. Das jedenfalls geht aus den Tagebuchnotizen hervor, die Lionel Logue hinterlassen hat. Dramaturgisch lässt sich das aber rechtfertigen. Indem der Regisseur den widerwilligen König als Patienten zeigt und den australischen Bürger als Therapeuten, gelingt ihm eine grosse Parabel über die Macht der Sprache und die Sprachlosigkeit der Macht. Mit der Folge allerdings, dass er dabei einen monarchischen Mythos bruchlos inszeniert. Zuerst muss der kommende König als Mensch das eigene Leid überwinden, bevor er als geläuterter Herrscher zum Vorbild seines Volkes aufsteigen darf. Und wohl auch zum Liebling der Oscar-Verteiler in Hollywood.
Im Oscar-Favorit «The King's Speech» schwört George VI. sein Volk auf den Krieg gegen Deutschland ein. Bloss: Sein Bruder hegte damals durchaus Sympathien für Hitler. Das passt jüdischen Oscar-Juroren gar nicht.
Die britischen Royals liefern nicht nur die Hochzeit des Jahres, auch für den besten Film dürften sie verantwortlich sein. «The King's Speech», in dem der Kampf gegen das Stottern von Albert Windsor alias König George VI. geschildert wird, hat den Oscar so gut wie gewonnen. Zu Recht: Die Leistung von Hauptdarsteller Colin Firth ist grandios, das Thema ebenso kühn wie einzigartig.
Und trotzdem wurde Kritik gegen den Film laut – weil er historische Unwahrheiten verkünde. Zur Einordnung: «The King's Speech» spielt in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Nachdem der frisch gekrönte englische König Edward VIII. nach wenigen Wochen sein Amt abgibt, weil er eine geschiedene Amerikanerin heiratet, muss Albert ran. Nun veröffentlichte das FBI kürzlich Akten über die Love Story Edwards mit der Amerikanerin Wallis Simpson. Sie belegen eine Nähe Edwards und seiner Frau zu Nazi-Deutschland. Edward, der den Verlust des britischen Throns nicht verwunden hatte, hoffte, mit Hitlers Hilfe wieder als König zurückkehren zu können.
Auf die Bahamas abgesetzt
Die Dokumente werfen ein neues Licht auf die vermeintlich tragische Liebesgeschichte. Wallis Simpson, so Erkenntnisse des FBI, soll neben der Beziehung zu Edward noch andere Affären gehabt haben - darunter auch zu Joachim Rippentrop, später Hitlers Reichsaussenminister. Bis heute ist unklar, wie weit ihr Einfluss auf Edward war. Musste die Royal Family einen Umsturz fürchten, angeführt von einem Mitglied der eigenen Familie? Sicher ist: Simpson und Edward machten Hitler 1937 während ihrer Hochzeitreise die Aufwartung, wovon Fotografien zeugen. Und auch, dass Edward, der Onkel von Königin Elizabeth II., als Marionettenkönig vorgesehen war, hätte Hitler England besiegt, gilt als sicher.
Neben dem FBI-Report sind zahlreiche neue Dokumente aufgetaucht, etwa das private Tagebuch von Sir Alan Lascelles, dem Privatsekretär Edwards. Auch diese Unterlagen beweisen, dass der frühere englische König tatsächlich zum Verrat an seiner Heimat bereit war und seine Sympathien bei Adolf Hitler und dem Nazireich lagen. Aus den frühen 40er-Jahren sind ausserdem folgende Zitate von Edward überliefert: «Wenn der Krieg vorbei ist und Hitler die Amerikaner zerquetscht hat, übernehmen wir. Die Engländer wollen mich nicht als ihren König, aber ich komme bald als ihr Führer zurück.» Und einem Journalisten sagte er: «Es wäre eine Tragödie für die Welt, wenn Hitler gestürzt würde.» Das war für Premierminister Winston Churchill, der Edward lange unterstützt hatte, letztlich zu viel des Guten; er versetzte ihn auf die Bahamas, wo er als Gouverneur keinen Schaden anrichten konnte.
Verschwörerisches Rundmail
Nun erzählt «The King's Speech» keine politische, sondern eine persönliche Geschichte: die Geschichte eines Mannes, der stottert - und der zufällig König von England ist. Da spielt der historische Background keine Rolle - oder? Genau das sehen einige Historiker - und nicht zuletzt einige jüdische Oscar-Juroren - anders. «Ich bin Oscar-Akademie-Mitglied und werde nicht für King’s Speech stimmen», heisst es in einem Rundmail, das unter jüdischen Academy-Mitgliedern kursiert.
Der Grund für den Filmboykott sind nicht nur Edwards Nazi-Symphatien, sondern auch die antisemitischen Äusserungen des Stotter-Königs George VI. Zwar legt der Film George VI. prophetische Warnungen vor Hitlers Aggressivität in den Mund. Doch in Tat und Wahrheit unterstützte George zuerst in den 30er-Jahren Churchill-Vorgänger Chamberlains Beschwichtigungspolitik gegenüber Deutschland. Ausserdem soll er 1939 eine Nachricht an Aussenminister Lord Halifax geschickt haben, in welcher er hoffte, dass die Juden – die damals verzweifelt aus Deutschland zu fliehen suchten – davon abgehalten würden, dies zu tun. Halifax hörte auf seinen König, teilte dies Berlin mit und drängte die NS-Regierung, «die unberechtigte Emigration» der Juden einzudämmen.