Widows
Steve McQueen, USA, GB, 2018o
Widows ist die Geschichte von vier Frauen, die nichts gemeinsam haben außer einer Schuld, die durch die kriminellen Machenschaften ihrer toten Ehemänner hinterlassen wurde. Im heutigen Chicago, inmitten einer Zeit des Aufruhrs, bauen sich Spannungen auf, als Veronica (Viola Davis), Alice (Elizabeth Debicki), Linda (Michelle Rodriguez) und Belle (Cynthia Erivo) ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen.
Eine Bande von Dieben fliegt nach einem Raubüberfall in die Luft. Vier der Witwen tun sich zusammen, um - statt Rente - das bereits geplante nächste Projekt ihrer Männer zu realisieren. Steve McQueen zeigt in bewährt kühler Manier, wie diese Quereinsteigerinnen zu professioneller Haltung finden, während die Gesellschaft um sie herum ähnlich kriminell agiert, nur besser getarnt und mit weniger Skrupeln.
Doris KuhnNoch einmal «Ocean’s 8», in dem lustige Frauen in grossem Stil klauen? Überhaupt nicht. Regisseur Steve McQueen («12 Years a Slave») verlegt die auf einer britischen TV-Serie basierende Handlung nach Chicago, in ein Milieu der Rassenkonflikte, der Korruption und Gewalt. Viola Davis brilliert dabei als Oberwitwe, ihre Gefolgsfrauen stehen ihr in nichts nach, und der Film hält bis zum Schluss Überraschungen bereit.
Matthias LerfC'est à la fois du cinéma populaire et du cinéma d'auteur. La mise en scène et les images sont d'une élégance rare, et Steve McQueen injecte une révolte amère dans le scénario. Un nouveau souffle dans le thriller.
François ForestierGalerieo
Steve McQueen, der zuletzt mit «12 Years a Slave» erfolgreich war, lässt nun vier Witwen für einen Raubüberfall gemeinsame Sache machen.
Die Frau kann rennen! So hat man das im Kino noch nie gesehen. Wie sie die Knie hochreisst, wie zackig die Arme fliegen, alles in einem Tempo, mit dem sie die anderen auf dem Trottoir fast allein durch ihre Druckwelle aus der Bahn schiebt. Unter Beifall erreicht die Frau am Ende ihr Ziel: Sie kriegt den Bus.
Regisseur Steve McQueen lässt die Schauspielerin Cynthia Erivo nicht umsonst eine ganze verslumte Strasse in Chicago entlangstürmen – was er dabei zeigt, ist ihr unbedingter Wille, ein Ziel zu erreichen. Eine Kraft wird sichtbar, und damit wird Erivos Figur Belle später andere Ziele erreichen als nur den Bus. Sie wird das mit drei anderen Frauen tun, die, wie sie, nicht mehr bereit sind, innezuhalten.
Aber bevor es so weit ist, fliegen erst ein paar Autos in die Luft, und mit ihnen auch eine ganze Bande von Räubern, die am Anfang des Films gerade einen Überfall zu Ende bringen. Ihr Erfolg ist kurz, bald sind sie tot. Die Beute, zwei Millionen Dollar aus dem Besitz eines extrem gewaltbereiten Gangsters, geht in dieser Katastrophe ebenfalls unter.
Damit ist der Thriller «Widows» bei den titelgebenden Witwen. Die verstorbenen Räuber hinterlassen Ehefrauen, die vom illegalen Treiben ihrer Gatten nichts oder kaum etwas wussten. Jetzt sieht ihre Zukunft finster aus, sie waren von ihren Männern abhängig. Eine von ihnen, Veronica, hat auch noch den Gangster am Hals, der seine zwei Millionen zurückhaben will. Und der ist, wie gesagt, exaltiert in seinen Massnahmen.
Also kontaktiert Veronica einige der anderen Witwen, und die Frauen unterschiedlichster Herkunft beschliessen in der Not, den Job ihrer Männer weiterzuführen. In einem Notizbuch ist ein nächster Coup detailliert aufgezeichnet, er wirkt relativ machbar, sogar für die Frauen, die in der Räuberbranche keine Erfahrung haben. Was jetzt allerdings nicht passiert, ist ein Gangsterinnen-Jux, in dem ein paar Frauen die besseren Männer abgeben. Denn es ist bekanntlich die Erschütterung, die Steve McQueen in seinen Filmen sucht.
Nahe an der US-Realität
Immer fragt er nach der Durchhaltefähigkeit seiner Helden; im Sklavendrama «12 Years a Slave», in der Sexsuchtgeschichte «Shame» und in «Hunger», in dem man dem IRA-Aktivisten Bobby Sands im Knast beim Sterben zusieht, weil er nicht von seiner Überzeugung abrücken will. Die Beziehung von Zwang und Widerstand ist McQueens grosses Thema, dem ordnet er auch seine «Widows» unter. Und dabei hält sich McQueen schön eng an alles, was die US-Realität bestimmt: Polizeigewalt, Korruption, Rassen-, Klassen-, Geschlechterdiskriminierung.
Trotzdem sorgt das Genre dafür, dass dieser Film weniger streng wirkt als frühere Werke. Die Orte müssen erklärt werden, was einmal durch eine grandiose Kamerafahrt passiert, die von den Bauruinen der Armen bis zu den Luxushäusern der Millionäre reicht. Manchmal gibt es tatsächlich ein paar humorvolle Szenen, wenn McQueen mit den Klischees spielt und die Witwen für ein konspiratives Treffen in die Sauna setzt wie alte Mafiosi. Sowieso werden Klischees gern gezeigt und zerlegt, vor allem von den vier Witwen selbst. Denn die erkennen den Vorteil, der in dem Frauenbild liegt, das die Aussenwelt von ihnen hat.
Der Gewinn, von dem der Film erzählt, ist am Ende nicht die Beute eines Diebeszugs. Steve McQueen zeigt eine Coiffeuse, eine Hausfrau, eine Verkäuferin und ein Callgirl, die eine kriminelle Idee umsetzen. Aber die Kraft, die sie dafür finden müssen, greift auch auf ihren Alltag über. Sie lernen, die Position der Passiven aufzugeben – damit haben sie eine Beute für den Rest ihres Lebens.