Gundermann
Andreas Dresen, Deutschland, 2018o
Gerhard Gundermann ist ein Baggerfahrer, der Lieder schreibt; der träumt und hofft und liebt und kämpft, aber auch andere bespitzelt und selbst bespitzelt wird. Kurz vor dem Ende der DDR arbeitet er im Braunkohle-Tagebau und veröffentlicht erste Platten. Schnell singt er sich in die Herzen eines immer grösseren Publikums. Doch selbst als «Gundi» nach dem Fall der Mauer ohne weiteres von seiner Musik leben könnte, will er seinen Baggerfahrer-Job nicht aufgeben.
Unter den prägenden deutschen RegisseurInnen der letzten zwanzig Jahre geht wohl niemand liebevoller mit den Figuren und nachsichtiger mit ihren Schwächen um als der 1963 geborene Berliner Andreas Dresen (Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush). Vielleicht hat das mit Dresens Jugend in der DDR zu tun, wo faule Kompromisse mit dem Regime eher die Regel als die Ausnahme waren. Eines der berühmtesten Beispiele für so ein Leben zwischen Widerstand und Kollaboration ist der Braunkohle-Baggerführer und gefühlvolle Liedermacher Gerhard Gundermann (1955–1998), der einerseits überzeugter Marxist war, sich als impulsiver Querkopf aber regelmässig mit Vorgesetzten und Parteioberen überwarf – und nach dem Mauerfall als zeitweiliger Stasi-Mitarbeiter outete. Dresen spielt in seinem biografischen Spielfilm Pingpong mit Szenen aus der DDR und aus der Nachwendezeit, zwischen denen rund fünfzehn Jahre und zwei gleichermassen schauderhafte Brillen liegen: da der vielfach stolpernde junge Lulatsch mit der frechen Schnauze, der nebenbei auf scheinbar verlorenem Posten um seine grosse Liebe aus Kindheitstagen wirbt, dort der gestandene Profi- und beharrliche Feierabendmusiker, der sich den dunklen Kapiteln seiner Biografie zuerst widerwillig, dann mit trotziger Entschlossenheit stellt und damit alte Freundschaften und die endlich gewonnene Liebe gefährdet. Die Darstellung der täglich gelebten Widersprüche berührt – und unterhält, nebenbei gesagt, blendend –, weil sie der Regisseur weder beschönigt noch verurteilt. Und weil er in Alexander Scheer einen fabelhaften Darsteller des schrulligen Bänkelsängers zwischen allen Bänken gefunden hat. Unter uns: Scheers Versionen der musikalisch anspruchslosen, aber pointenreichen Gundermann-Hits klingen fast besser als im Original.
Andreas FurlerEin Riesenbagger, der Kohle aus der Landschaft frisst: Regisseur Andreas Dresen findet für seinen widersprüchlichen Helden ikonische Bilder, die nichts Ikonisches an sich haben. Das Panorama zielt auf die innere Last von Gundermann. Dieser wird von Alexander Scheer ebenso impulsiv wie introvertiert verkörpert. Ein gewaltiges Kinoerlebnis.
Hans Jürg ZinsliEr war DDR-Liedermacher, Baggerfahrer im Braunkohlerevier, Stasi-Informant: Andreas Dresens Film über Gerhard Gundermann (Alexander Scheer) ist ein feinfühliges Biopic über eine widersprüchliche Figur. Vor allem aber ein klug erzähltes, weder verteufelndes noch verklärendes Fragment deutsch-deutscher Geschichte. Dresen kreist Gundermanns Leben umso genauer ein, weil er suchend darin herum tastet - zwischen Idealismus, Schuld, Verdrängung und dem trügerischen Wesen der Erinnerung.
Annett Scheffel