Vertigo
Alfred Hitchcock, USA, 1958o
Ein Polizeidetektiv, der an Höhenangst leidet und sich für den Tod eines Kollegen verantwortlich fühlt, quittiert den Dienst in San Francisco und übernimmt die Beschattung einer suizidgefährdeten Frau. Die geheimnisvolle Schöne zieht ihn in ihren Bann, doch kann er sie wegen seiner Höhenangst nicht am Sprung von einem Kirchturm hindern. Von Selbstvorwürfen zermürbt, trifft der Detektiv wenig später auf eine Frau, die der Toten gleicht. Er setzt alles daran, dass die Fremde der geliebten Verstorbenen immer ähnlicher wird.
Die Abhandlungen über Hitchcocks vielschichtigstes Suspense- und Seelendrama füllen schon ganze Bibliotheken. Nicht zuletzt kann der Film als eine (Angst-)Fantasie des erzkatholisch erzogenen Regisseurs gelesen werden, der seinen Protagonisten geradezu sadistisch mit Schuldgefühlen für das Ausleben einer erotischen Obsession piesackt. Dieser Lesart wiederum steht der betörende sinnliche Schmelz und maliziöse Witz entgegen, mit welcher der erklärte Blondinen-Anbeter Hitchcock Kim Novak von der ersten Einstellung an als Männerfantasie in Szene setzt: marionettenhaft formbar, vermeintlich unwissend um ihre Erotik und zugleich undurchdringlich, sich eigensinnig allen Annäherungs- und Manipulationsversuchen entziehend. Die in übernatürliches Licht getauchte, sich vollendende Rückverwandlung der Fremden in die Geliebte ist, gerade in ihrer erotischen Unterschwelligkeit, einer der magischen Momente der Filmgeschichte.
Andreas FurlerAlfred Hitchcock befand sich 1958 auf der Höhe seines kommerziellen Ruhms, aber Vertigo war kein beliebter Film, als er in die Kinos kam. Die Kritik galt dem raffinierten und unwahrscheinlichen Plot (...). Entscheidender war wohl aber ein offenes Unbehagen angesichts der eigenartigen Beziehung zwischen Jimmy Stewart und Kim Novak, die im Zentrum des Films steht. Während der langen Zeit, in der Vertigo aus Copyright-Gründen nicht gezeigt werden konnte, setzte eine kritische Neubewertung des Films ein – jetzt gilt er als eines der grössten Werke des Meisters. (...) Vertigo ist unendlich oft imitiert, bearbeitet und zitiert worden. (...) Alles in allem ist Vertigo ein grandioser, verstörender, eisig-romantischer Film mit stahlgrauen Technicolor-Bildern, sinnträchtigen Momenten, surrealistischen Grossaufnahmen und einer drängenden, eindringlichen Musik von Bernard Herrmann.
Kim Newman