Il bell'Antonio
Mauro Bolognini, Italien, 1960o
Nach drei Jahren in Rom kehrt der schöne Sprössling einer einflussreichen sizilianischen Familie nach Palermo zurück, wo er als vermeintlicher Frauenheld mythische Verehrung geniesst. Seine Heirat mit einem ähnlich umschwärmten «Engel» wird als Königshochzeit zelebriert, doch als sich herumspricht, dass der schöne Antonio die Ehe nicht vollziehen kann, verkehren sich die grandiosen Erwartungen aller Beteiligten allmählich ins höllische Gegenteil.
Die schönste Zeit des italienischen Kinos waren zweifelflos die frühen 1960er Jahre mit ihren letzten Licht- und Schattenspielen in Schwarz-Weiss. Post-neorealistisch, an der Schwelle zu einer neuen Modernität, gehört Mauro Bologninis Il bell' Antonio unbedingt dazu. Die von Pier Paolo Pasolini mitverfasste Adaption eines Romans des sizilianischen Schriftstellers Vitaliano Brancati, der 1949 erschien, aber noch im Faschismus der Vorkriegszeit angesiedelt war, verlegt die Handlung in die Gegenwart und bereichert seine Abrechnung mit einer Machokultur um Mehrdeutigkeit. Erzählt wird von einem jungen Mann aus Catania, der an Impotenz leidet. Von seiner Familie bedrängt und von ihrer Schönheit fasziniert, heiratet er schliesslich die junge Barbara. Doch nach einem Jahr kinderloser und sogar noch nicht vollzogener Ehe verlangt der Schwiegervater die Annullierung. Wird es Antonio gelingen, seine Ehre zu retten? Der Film ist so feinfühlig wie sarkastisch und wahrt das zentrale Geheimnis von Antonios Impotenz: Ist es ein physiologisches Problem, eine psychische Blockade oder eine versteckte Homosexualität? Letztlich ist es egal. Es ist Antonios Melancholie, seine aufrichtige Liebe zu Barbara und die grausame Vulgarität der Umgebung, die der Ästhet Bolognini auf erschütternde Weise zum Ausdruck bringt, bis hin zu einem ironischen „triumphalen“ Ende von großer Bitterkeit - dem typischen Tonfall des Autors. Marcello Mastroianni und Claudia Cardinale sind in diesem Film auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit, mit einem sehr jungen Tomas Milian an ihrer Seite in der Rolle des schrulligen Cousins Edoardo. Ihre einfühlsame Interpretation in der inspirierten Ausleuchtung des Kameramanns Armando Nannuzzi rundet den Film zu einem Meisterwerk.
Norbert CreutzMauro Bolognini hat eine Tragikomödie geschaffen. Sein Held ist durchaus eine tragische Figur (im Unterschied zu Brancatis Roman, wo er rein satirisch behandelt wird), und die Satire, die der Film auch ist, richtet sich ausschliesslich gegen die Gesellschaft, gegen die Konvention der Ehe, die heimlich oder offen verraten wird, gegen die Erotomanie des öffentlichen Daseins, gegen die Kirche, die dem Schein der Tugend anhängt und die Tugend selbst nicht wahrnimmt. Auf der satirischen Ebene nimmt der Film volle komödiantische Schritte und da er in Catania spielt, fehlt es natürlich nicht an Motiven und Einfällen, die Italianità komödiantisch zu überdrehen. (Premierenkritik, 16.9.1960)
Martin Schlappner