Closing Time
Nicole Vögele, Schweiz, Deutschland, 2018o
Kuo und seine Frau kochen für die Schlaflosen der Stadt. Sie arbeiten die ganze Nacht und schlafen tagsüber, wie viele andere im pulsierenden Taipeh. Der Film ist ein Versuch, die Zeit festzuhalten, eine filmische Meditation über Zwischenmomente und die Suche nach dem Unerklärlichen, wenn ein Mensch einfach ein Mensch ist.
Die 1983 bei Olten geborene Nicole Vögele beweist nach ihrem Debüt «Nebel» erneut, dass sie ein feines Gespür für Details und Texturen des Alltags hat. Ihr essayistisches Porträt einer Garküche in der Nonstop-Gesellschaft Taiwans drehte sie im Super-16-mm-Format, was die Intimität der Szenen zusätzlich verstärkt.
Pascal BlumClosing Time est un voyage poétique et majestueux dans un quotidien qui semble immuable. Nicole Vögele parvient à capturer ces moments suspendus où la réalité semble se transformer en rêve, ou le passage lent mais inexorable du temps s'arrête à l'improviste. Closing Time nous oblige à nous arrêter, à observer ce qui d'habitude nous échappe.
Muriel Del DonGalerieo
In der Nebensektion in Locarno fällt der Schweizer Film auf: «Closing Time» von Nicole Vögele
Es gibt in Locarno zwei Sektionen, die sind ausserordentlich wichtig fürs Festival, auch wenn es manchmal so wirkt, als hätte das Programm irgendwann vor allem voll werden müssen. Das sind die Piazza und der Wettbewerb, wie zwei Schulen des Kinos: hier das Einprägsame, dort das Einfühlsame. Das Kino lebt aber noch von etwas Drittem. Von Bildern, die nicht im Dienst einer Erzählung stehen, weil sie noch sehr viel anderes zeigen.
Locarno-Leiter Carlo Chatrian soll in seinem Herzen einen besonderen Platz haben für Cineasti del presente, die Sektion für Erstlings- und Zweitlingsfilme. Sie war in den letzten Jahren oft gut bestückt, diesmal war es eine richtig starke Ausgabe: Junge französische Regisseure erzählten wach aus einem von Terrorismus und Hass zerrütteten Land. Die Deutsche Eva Trobisch registrierte in «Alles ist gut» die teils absurden Nachwirkungen einer Vergewaltigung.
Einen Blick teilen
Letztes Jahr war der Zürcher Cyril Schäublin mit «Dene wos guet geit» vertreten; nun zeigte die 35-jährige Nicole Vögele aus Gretzenbach bei Olten mit «Closing Time» einen dieser Dokumentarfilme, die immer als experimentell bezeichnet werden, also als etwas Mühsames. Dabei verlassen sie sich nur auf die Sinneserfahrung, und was soll daran elitär sein? Schauplatz ist ein Nachtimbiss in Taipeh, davor die mehrspurige Strasse, darüber die Autobahnüberführung. Herr Kuo und Frau Lin servieren «Litte Plates with Rice»; ringsum spielen sich Mikroszenen der Nacht ab: Schweinehälften baumeln im Transporter, der Tätowierer von nebenan kommt auf einen Teller vorbei.
Sie habe sich in Taipeh endlos verlaufen, sagt Nicole Vögele beim Espresso, und sei morgens um vier auf diesen Imbiss gestossen, Hunger hatte sie eben auch. «Zufälle sind sehr wichtig in meiner konzeptionellen Arbeit. Mein Glaube an sie hat fast etwas Religiöses.» Vögele arbeitet auch als «Rundschau»-Redaktorin, «Closing Time» ist jetzt ihre betörend komponierte Beobachtung der Nonstop-Gesellschaft und des Nachtgefühls in den Metropolen.
«Für mich ist sehr wichtig, dass Bilder über das hinausgehen können, was sie darstellen. Sie können grössere Räume eröffnen.» Normalerweise würden wir einander nachvollziehbare Geschichten erzählen, sagt Vögele, die ihren Essay «Nebel» 2014 an der Berlinale zeigte und damit nach Taiwan reiste, wo sie den Stoff für «Closing Time» fand. «Aber das Leben lässt sich nicht so einfach nachvollziehen. Da gibt es eine Lücke dazwischen. Die interessiert mich.»
Was sie teilen wolle, sei ein Blick, weniger eine Erzählung. Die Zuschauer reagierten offen auf ihren Film, auch wenn es manchmal einfach heisse, das sei jetzt mal was anderes gewesen. 2019 soll «Closing Time» in ein paar Kinos kommen. Wird eine kleine Sache. Aber eine schöne.