Die Reise
Markus Imhoof, Deutschland, Schweiz, 1986o
In seinem unvollendeten Romanessay «Die Reise», grösstenteils schon 1969 verfasst, doch erst 1977 herausgebracht, schildert der deutsche Verleger und Autor Bernward Vesper seinen für die 68er-Generation typischen Werdegang vom Sohn eines autoritären Nazi-Schriftstellers über das Ringen um eine eigenständige Position bis zur Radikalisierung in der Studentenbewegung der sechziger Jahre an der Seite der späteren RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Das dramaturgische Gerüst der freien Verfilmung durch Markus Imhoof bilden die Entführung des gemeinsamen kleinen Sohnes von Ensslin und Vesper aus einem sizilianischen Terroristencamp und die wilde Flucht von Vater und Sohn nach Berlin, wobei Rückblenden die Lebensstationen der Protagonisten (die im Film anders heissen) schlaglichtartig beleuchten.
Erstaunlich, dass einem Schweizer Regisseur eine der schlüssigsten und stimmungsstärksten Darstellungen der deutschen 68er-Generation und ihrer terroristischen Irrwege gelang. Mit einem kühnen Kunstgriff nimmt Markus Imhoof den Titel von Bernward Vespers autobiographischem Fragment «Die Reise» beim Wort und macht Vespers Lossagung von seiner früheren Partnerin Gudrun Ensslin und von der Gewaltbereitschaft der Roten-Armee-Fraktion zum dramaturgischen Leitfaden einer spannungsvollen Erzählung: Die Entführung des gemeinsamen kleinen Sohnes aus einem italienischen Vorbereitungscamp für Terroristen und die chaotische Reise über Berlin bis zurück ins Elternhaus, wo das ganze Unheil seinen Anfang nahm, bilden das Grundgerüst für eine assoziative Montage von Rückblenden, die ums das Ringen mit dem tyrannischen Vater kreisen und mit der chaotischen, aber liebevollen Beziehung zum eigenen Sohn kontrastieren. Hans Liechtis Kameraarbeit riskiert Dunkelheit und grobes Korn und gewinnt mit jeder der durchdachten Einstellungen an atmosphärischer Dichte, die Ausstattung und die bis auf wenige Ausnahmen kaum mehr bekannte Besetzung tragen zur Authentizität der schlaglichtartigen Szenen bei. Deutlich wird, wie stark der spezifisch deutsche Weg von der Studentenrevolte in den Terrorismus von der Allgegenwart des Altnazitums geprägt war. Höchste Zeit für die Wiederentdeckung dieses kraftvollen Films, der mit Imhoofs berühmten Schweizer Flüchtlingsdrama Das Boot ist voll in einer Linie steht.
Andreas FurlerImhoof schafft es, den schwierigen Weg einer rebellierenden Generation mit erstaunlicher Differenziertheit nachzuzeichnen, ohne dabei gross ins Wanken zu kommen. Wenn Vossens Knabe am Ende den ihm davontragenden Polizisten in die Hand beisst, so gefriert in einem letzten Bild die Hoffnung, dass die Kinder endlich einmal frei werden können, von den Schulden, die ihnen ihre Väter hinterlassen haben.
nnThose who admired Markus Imhoof’s «The Boat is full» (1980) will not be disappointed by his honest and conscientious approach to German postwar father-son conflicts that led to the student rebellion of 1968 and the hysteria surrounding the Baader-Meinhof Group, as depicted in his well-researched film adaption of Bernward Vesper’s «The Journey».
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